Literatur in Zeiten des Corona-Virus? Welcher Horror-Fan denkt da nicht an Edgar Allan Poes „The Masque of the Red Death“? Kaum eine andere Geschichte aus dem reichen Fundus der Schauerliteratur dürfte jemals so brandaktuell gewesen sein wie diese – inklusive Quarantäne und Corona-Party – oder besser gesagt, Corona-Party in Quarantäne. Wie bei so vielen anderen Poe-Geschichten ist die Liste der Adaptionen lang und die der Referenzen noch länger. Für diesen Artikel habe ich mir zwei dieser Adaptionen herausgegriffen, die ich zusammen mit der eigentlichen Geschichte besprechen werde: Es handelt sich dabei um zwei deutsche Hörspielproduktionen, die diese Kurzgeschichte auf sehr unterschiedliche Art und Weise umsetzen.
Die Geschichte
„The Masque of the Red Death” erschien 1842 auf den Seiten von Graham’s Magazine und erzählt die Geschichte des, je nach Übersetzung, Prinzen bzw. Fürsten Prospero. Im ganzen Land wütet eine besondere Krankheit, der „Rote Tod“, die ein exzessives Bluten der Poren verursacht und in kurzer Zeit nach der Ansteckung zum Tod führen kann. Prospero und seine Adeligen verschanzen sich in einer alten Abtei mit vielen Vorräten und versuchen so, der Krankheit zu trotzen. Um gegen ihre Langweile anzukämpfen, veranstaltet der Fürst ein großes Maskenfest in sieben speziell präparierten Räumen. Jeder ist mit anderem Licht illuminiert, blau, lila, grün, orange, weiß und violett. Nur der siebte Raum ist schwarz ausgehängt und wird von rotem Licht beleuchtet. Unter die Gäste mischt sich eine Gestalt im Kostüm des Roten Todes, inklusive blutbeschmierter Robe und entsprechender Maske. Prospero befiehlt, den Träger dieses geschmacklosen Kostüms hinzurichten, doch als seine Wachen versuchen, den Fremden zu demaskieren, müssen sie feststellen, dass sich kein Mensch aus Fleisch und Blut im Kostüm befindet. Stattdessen ist der Rote Tod persönlich gekommen und fordert nun das Leben Prosperos und aller Adeligen.
Edgar Allan Poe ist bekannt dafür, typische Elemente der „Gothic Fiction“ zu entnehmen und diese zu psychologisieren. Bei ihm sind es weniger die Geister und sonstigen übernatürlichen Monster, die im Mittelpunkt stehen, sondern der Wahnsinn und die Verderbtheit der Protagonisten. „The Masque of the Red Death“ ist da keine Ausnahme. Poe borgt sich einige Elemente aus „The Castle of Otranto“ von Horace Walpole, dem ersten Vertreter der Gattung „Gothic Novel“, inklusive des Schloss-ähnlichen Schauplatzes, der Atmosphäre und natürlich des Handlungsortes Italien, der durch Prosperos Namen angedeutet wird. Die Bedrohung tritt hier durch eine fiktive Krankheit auf, die sich letzten Endes auch den arroganten Adel holt, der glaubt, sich ihr entziehen zu können und sich dabei ein Gefängnis erbaut, das ihn ein-, die Krankheit aber letzten Endes nicht ausschließt. Oft wurde der Rote Tod als Ausdruck von Tuberkulose interpretiert, an welcher mehrere Mitglieder aus Poes Umfeld, darunter seine Frau Virginia, seine Mutter Eliza und sein Bruder William litten und zum Teil auch verstarben.
Stilistisch ist „The Masque of the Red Death” sehr distanziert vom Geschehen, mehr Bericht denn tatsächliche Erzählung. Es gibt einen Ich-Erzähler, der jedoch kaum in den Vordergrund tritt und auch nicht Teil der eigentlichen Narrative ist, sei es als tatsächlich handelnde Person oder als bloßer Beobachter. Prosepro ist die einzige namentlich erwähnte Figur und im Grunde auch die einzige Figur, mit Ausnahme des maskierten Fremden, die in irgendeiner Form als handelnde Person auftritt. Gerade das macht es natürlich schwer, die Geschichte für ein anderes Medium zu adaptieren, speziell eines, das wie das Hörspiel primär auf Dialogen basiert.
Lübbe Audio: Edgar Allan Poe
Von 2003 bis 2009 veröffentlichte Lübbe Audio unter der Regie von Simon Bertling und Christian Hagitte eine Hörspielserie mit dem schlichten Titel „Edgar Allan Poe“. Im Rahmen dieser Serie, die insgesamt 37 Folgen umfasst und leider unvollendet bleibt, werden einerseits Poes Geschichten adaptiert, andererseits wird aber auch eine neue, „poeesque“ Geschichte mit subtilen Metaelementen erzählt. Im Zentrum dieser Geschichte steht ein Mann, der sein Gedächtnis verloren hat und den zufälligen Namen Edgar Allan Poe annimmt. Vor allem zu Beginn folgt jede Episode dem selben Muster: Poe versucht, seiner Vergangenheit auf die Spur zu kommen, reist von einem Ort zum anderen und wird immer wieder von bizarren, verstörenden Alpträumen geplagt – jeder dieser Alpträume ist eine mehr oder weniger vorlagengetreue Adaption einer Poe-Geschichte und nimmt den Großteil des Hörspiels in Anspruch, während die Suche des Protagonisten nach seiner Identität als Rahmenhandlung fungiert. In späteren Episoden wird dieses Muster allerdings aufgebrochen und die Rahmenhandlung rückt stärker in den Vordergrund. Was diese Hörspielserie vor allem auszeichnet, ist die hochwertige Produktion, unter anderem wurde der Soundtrack extra von einem Orchester eingespielt und auch die Sprecherriege kann sich sehen lassen, unter anderem wirken Ulrich Pleitgen als Poe, Iris Berben als seine Geliebte Leonie und Till Hagen als Dr. Templeton mit, zusätzlich zu diversen Gaststars, darunter Joachim Kerzel, Anna Thalbach, Hans Peter Hallwachs, Jürgen Kluckert und viele weitere.
„The Masque of the Red Death“ findet sich, ebenso wie die meisten anderen wirklich bekannten Poe-Geschichten, zu Beginn der Serie, es handelt sich um Folge 4. Amüsanterweise war es auch die erste Folge der Serie, die ich hörte und tatsächlich wohl einer meiner ersten Kontakte mit Poe überhaupt. Die Rahmenhandlung nimmt hier noch verhältnismäßig wenig Raum ein, der Fokus liegt auf der eigentlichen Kurzgeschichte, die weniger inhaltlich verändert als vielmehr weiter ausgearbeitet und dem Medium angepasst wird. Poes Prosa konzentriert sich vor allem auf das Maskenfest, beschreibt dessen Konzeption ziemlich detailliert, geht aber kaum auf Figuren ein, erzählt nicht szenisch und beinhaltet kaum wörtliche Rede. Das Hörspiel dagegen konzentriert sich auf all die Elemente, die bei Poe lediglich impliziert werden oder keine Rolle spielen, etwa den Ausbruch der Seuche. Zu Beginn der Geschichte wütet der Rote Tod bereits im Land, während das Hörspiel deutlich unbeschwerter beginnt. Neben Prospero, durch dessen Augen Edgar Allan Poe (die Figur) die Geschehnisse wahrnimmt, werden weitere Figuren vorgestellt, darunter Prosepros Hofmeister (Peter Groeger), sein Narr (Thomas B. Hoffmann) und das Küchenmädchen Louisa (Yara Blümel). Poe (die Figur) fungiert zwar als Erzähler der Rahmenhandlung, die eigentliche Adaption der Kurzgeschichte kommt allerdings ohne Erzähler aus und setzt die Handlung szenisch um, vom Ausbruch der Krankheit, die von Gauklern ins Land gebracht wird, über die rasche Ausbreitung und die Verschanzung des Adels bis hin zum Maskenball. Die Distanziertheit der Vorlage wird zugunsten des persönlichen Schicksals der Figuren aufgegeben. Das Hörspiel bemüht sich, die Folgen der Seuche und der Isolation auf den psychischen Zustand der Charaktere plastisch darzustellen. Die Konzeption des Maskenballs mit den farbigen Räumen, dessen Beschreibung bei Poe so viel Platz bekommt, spielt hier dagegen nur eine kleine Rolle.
In der Kurzgeschichte wird Prospero darüber hinaus kaum als plastische Figur gezeichnet, was einer Adaption einige Möglichkeiten an die Hand gibt. Hier wird Prospero, natürlich ebenfalls von Ulrich Pleitgen gesprochen, im Großen und Ganzen als positive, fast schon gutmütige, wenn auch hilflose Figur gezeichnet. Der Hofmeister ist eher die handelnde Figur, schlägt die Maßnahmen zu Kampf gegen die Seuche vor, ordnet die Isolation an und hat auch die Idee, den Maskenball zu veranstalten. Prospero ist schon fast passiv. Insgesamt ist diese Darstellung der Figur ein sehr interessanter Kontrast zum zweiten zu besprechenden Hörspiel.
Titania Medien: Gruselkabinett
Seit 2004 produzieren Stephan Bosenius und Marc Gruppe mit ihrem Label Titania Medien hochwertige Hörspiele. Neben Sherlock Holmes und diversen Märchen gehört zu ihrem Repertoire auch die Reihe Gruselkabinett, in der Klassiker der Schauerliteratur adaptiert werden – da darf Poe natürlich nicht fehlen. Da „The Masque of the Red Death“ ohnehin eine von Poes bekanntesten und beliebtesten Geschichten ist, bot es sich natürlich an, nach „The Fall of the House of Usher“ auch diese Erzählung adaptieren – dabei standen Bosenius und Gruppe natürlich ebenfalls vor dem Problem, dass sie es mit einer sehr kurzen, nicht szenischen Geschichte zu tun hatten. Anstatt allerdings die Handlung „nur“ auszuarbeiten, wählten die beiden einen anderen Ansatz und verschmolzen zwei von Poes Geschichten zu einer, die zweite ist die deutlich weniger bekannte Erzählung „Hop-Frog“, in der ein missgestalteter Zwerg diesen Namens und seine ebenfalls kleinwüchsige Gefährtin Tripetta Rache an einer Gruppe spottender und grausamer Adeliger und ihrem König nehmen. Im Zentrum dieser Geschichte steht ebenfalls ein Maskenfest, in dessen Rahmen die Adeligen und der König sich dazu überreden lassen, sich als Orang-Utans zu verkleiden, um dann anschließend von Hopp-Frosch angezündet zu werden.
Ähnlich wie in der Kurzgeschichte wütet der Rote Tod zu Beginn des Hörspiels bereits im Lande. Hauptfigur ist Hopp-Frosch (Sven Plate), der zusammen mit Tripetta (Daniela Reidies) von Prospero (Ernst Meincke), der an die Stelle des grausamen Königs tritt, und seinen Ministern (Uli Krohm, Viktor Neumann und Alexander Turrek) aufgesammelt wird. So sind die beiden zwar vorerst sicher vor dem Roten Tod, aber der Grausamkeit Prosperos und seiner Minister ausgeliefert. Die Szenen des Hörspiels sind, bis auf das Finale, praktisch alle aus „Hop-Frog“ entnommen und werden sogar noch erweitert, unter anderem taucht mit Giulietta, der Geliebten Prosperos, noch eine Figur auf, die extra für das Hörspiel neu geschaffen wurde, um weitere Dialoge zu ermöglichen. Darüber hinaus wurde Tripettas Rolle stark erweitert. Da Prospero natürlich erst am Ende sterben darf, ist er, anders als der grausame König aus „Hop-Frog“, nicht an der Orang-Utan-Maskerade beteiligt. Ansonsten wird er als Figur aber deutlich negativer gezeichnet als sein Gegenstück aus der Vorlage oder dem Lübbe-Audio-Hörspiel. Und anders als im Hörspiel von Lübbe Audio wird der Fokus wieder stärker auf das Setting und die farbigen Räume gelegt.
Es ist tatsächlich interessant, wie gut die beiden Geschichten zu- bzw. ineinander passen. In einem späteren Hörspiel gingen Bosenius und Gruppe noch einmal denselben Weg und kombinierten zwei weitere Poe-Geschichten miteinander, „The Pit and the Pendulum“ und „The Casc of Amontillado“ – hier ist das Ergebnis allerdings weitaus unbefriedigender, da die Geschichten nicht gut ineinandergreifen und einer der zentralen Aspekte der zweiten Erzählung nichtig wird: Als Leser wissen wir nie, weshalb Montresor an Fortunato Rache nehmen will, was einen Großteil des Schreckens ausmacht, im Hörspiel sind es die Ereignisse aus „The Pit and the Pendulum“.
Fazit: Das Gruselkabinett-Hörspiel legt den Fokus stärker auf die bizarren und schaurigen Elemente der Geschichte – sogar der Rote Tod (Axel Lutter) selbst darf am Ende zu Wort kommen, während sein Gegenstück von Lübbe Audio die Figuren und ihre Psychologie stärker in den Fokus rückt. Gerade in der aktuellen Situation ist aus diesem Grund die Lübbe-Audio-Version deutlich intensiver und wirkungsvoller, da man gewissermaßen die letzten Wochen noch einmal im Schnelldurchlauf erlebt. Beide Hörspiele sind allerdings überaus hochwertig, gut gesprochen und sehr atmosphärisch.