Marvel Cinematic Universe: Leitmotivische Kontinuität

Spoiler für das komplette MCU!

Mit „Avengers: Endgame“ und „Spider-Man: Far From Home“ endet nicht nur die dritte Phase des MCU, sondern auch eine ganze Ära. Da bietet es sich an, noch einmal einen Blick auf die Musik des Marvel Cinemtic Universe zu werfen – seit dem Video von „Every Frame a Painting“ ein heiß diskutiertes Thema, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass Scores bei Filmdiskussionen oftmals nur eine untergeordnete Rolle spielen. Ich selbst habe ebenfalls bereits einiges zum Thema „MCU-Musik“ geschrieben, sei es in Form einzelner Soundtrack-Reviews oder zusammenfassender Überblicksdarstellungen. Gerade dieser Zeitpunkt bietet sich aber nun für ein, zumindest gemessen am Umfang des MCU, knappes Fazit zu elf Jahren Superheldenfilmmusik. Wie der Titel dabei nahelegt, konzentriere ich mich auf mein Lieblingsthema: leitmotivische Kontinuität. Dabei spielen Stil, Effektivität und alles andere, was dazugehört, natürlich ebenfalls eine Rolle, aber der Fokus liegt eindeutig auf den Themen.

Phase 1
Zumindest zu Beginn des MCU gab es keinen Gesamtplan, was die Filmmusik anging, stattdessen wählte jeder Regisseur einen Komponisten seiner Wahl (oder nahm den, den das Studio für den effektivsten hielt). Die ersten fünf Filme des MCU wurden alle von verschiedenen Komponisten vertont und unterscheiden sich stilistisch zum Teil enorm. Für „Iron Man“ wollte John Favreau ursprünglich seinen Stammkomponisten John Debney verpflichten, dieser war jedoch gerade nicht verfügbar, weshalb er stattdessen Ramin Djawadi verpflichtete – zu diesem Zeitpunkt noch ein relativ unbekannter Name im Filmmusikgeschäft, der an diversen Hans-Zimmer- bzw. Remote-Control-Projekten, etwa „Batman Begins“ oder „Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl“ mitgearbeitet, aber nur wenige Projekte allein oder zumindest federführend vertont hatte. Für „Iron Man“ bediente er sich der typischen RCP-Methodologie, verband das ganze aber mit sehr dominanten Hard-Rock- und Metal-Elementen, um Tony Stark als Rock Star darzustellen und die Song-Auswahl des Films zu unterstützen. Dementsprechend ist Djawadis Iron-Man-Leitmotiv auch eher eine Reihe von E-Gitarren-Riffs denn ein wirklich ausgearbeitetes Thema.

„The Incredible Hulk“ wurde von Craig Armstrong vertont, der im Gegensatz zu Djawadi einen weitaus traditionelleren, sprich: orchestralen Ansatz wählte und die dualistische Natur der Titelfigur durch zwei unterschiedliche Themen darstellte, eines für Bruce Banner und eines für den Hulk. Für „Iron Man 2“ war Debney verfügbar, weshalb Djawadi nicht zurückkehrte. Debney behielt einige der Rock- und Metal-Stil-Elemente bei, verstärkte jedoch die orchestrale Präsenz und schrieb ein neues, komplexeres Thema für den Titelhelden, das im Film jedoch nur selten Verwendung findet.

Kenneth Branagh brachte für „Thor“ ebenfalls seinen Stammkomponisten ins Spiel. Patrick Doyle verknüpfte erfolgreich seine lyrische Sensibilität und keltische sowie nordische Anklänge mit den Stilmitteln moderner, von Zimmer und Konsorten geprägter Action-Scores, die ihre treibende Kraft von zum Teil elektronischen Percussions sowie der ausufernden Verwendung von Streicher-Ostinati erhalten.

Im Gegensatz dazu komponierte Alan Silvestri für „Captain America: The First Avenger“ einen Score, der die Old-School-Natur dieses Helden unterstreicht und mit einem aufwendigen Marsch für den Titelhelden überzeugt, der die Erinnerung an die Williams- und Silvestri-Scores der 80er weckt.

Mit „The Avengers“ gab es erstmals ein Minimum an leitmotivischer Kontinuität im MCU, primär deshalb, weil Joss Whedon Gefallen an Silvestris „Captain America“-Score fand und ihn deshalb gleich für „The Avengers“ anheuerte. Und, siehe da: Silvestri brachte seine Themen für Cap und den Tesseract aus dem Vorgänger mit. Von Anfang an waren sich Komponist und Regisseur jedoch einig, dass die individuellen musikalischen Identitäten der Helden heruntergespielt werden sollten; deshalb steht das Avengers-Thema ganz klar im Vordergrund. Silvestri ignorierte die Themen, die Djawadi, Armstrong, Debney und Doyle für die Charaktere komponiert hatten. Selbst sein eigenes Cap-Thema taucht in „The Avengers“ niemals komplett auf, sondern nur in fragmentierter und verkürzter Form. Stattdessen schrieb Silvestri neue Motive für Black Widow, Thor, Iron Man und einige andere Figuren und Elemente, die im Score allerdings relativ schwer herauszuhören sind und mit denen sogar ich Probleme hatte – zum Glück gibt es diese hervorragende Analyse, die u.a. auch aufzeigt, dass Silvestri Armstrongs Hulk-Thema in einer Szene zitiert, was mir ebenfalls entgangen ist (was jedoch auch damit zusammenhängen konnte, dass ich mit dem Hulk-Score nicht allzu vertraut bin).

Phase 2

Zumindest Brian Tyler, den man als federführenden Komponisten von Phase 2 wahrnehmen kann, scheint sich einige Gedanken über leitmotivische Kontinuität gemacht zu haben. Tyler feierte seinen MCU-Einstand mit „Iron Man 3“. Kevin Feige wollte, dass sich Tyler tonal von den bisherigen beiden Iron-Man-Filmen entfernte, dementsprechend finden sich kaum noch Hard-Rock- oder Metal-Stilmittel, stattdessen komponierte Tyler ein neues Thema für die Titelfigur, bei dem es sich nun um ein sehr potentes, man möchte fast sagen, „maskulines“ Superheldenthema handelt, das, entweder zufällig oder mit voller Absicht, auf Silvestris Iron-Man-Motiv aus „The Avengers“ basiert. Auch sonst versuchte Tyler, Silvestris Stilmittel und eine starke orchestrale Präsenz mit dem typischen modernen Action-Sound zu verbinden. Im Grunde wandte er dasselbe Rezept auch für „The: The Dark World“ an, wobei dieser Score eine stärkere chorale Präsenz und dafür weniger Elektronik- und Synth-Elemente aufweist. Abermals scheint Tyler sich das entsprechende Silvestri-Motiv vorgenommen und aus besagtem Motiv das vollständige Thema herauskomponiert zu haben. Somit hat er sowohl für Thor als auch für Iron Man die Technik umgekehrt, mit der Silvestri sein Cap-Thema in „The Avengers“ integrierte. Apropos Cap-Thema: Dieses absolviert zusammen mit Chris Evans einen Cameo-Auftritt in „Thor: The Dark World“. Zusätzlich komponierte Tyler die Marvel Studios Fanfare, die auch in den beiden Folgefilmen Verwendung fand.

Die Russo-Brüder und Henry Jackman wählten für „Captain America: The Winter Soldier“ dagegen einen völlig anderen Ansatz und orientierten sich stilistisch eher an Zimmers „The Dark Knight“ als an Silvestris Avengers-Score. Dementsprechend wird der titelgebende Antagonist eher durch Sounddesign als durch ein tatsächliches Motiv repräsentiert – man erinnere sich an den „Winter-Soldier-Schrei“ – und auch sonst handelt es sich durch und durch um einen sehr modernen Action-Score, in dem das Orchester eine sekundäre Rolle spielt, während Elektronik dominiert. Dennoch gibt es ein Minimum an Kontinuität, denn in den Anfangsminuten erklingt tatsächlich Silvestris Cap-Thema. Anders als bei „Thor: The Dark World“ handelt es sich aber nicht um eine neue Variation, sondern eine direkte Übernahme aus dem Score des ersten Films. Auch stilistisch kehrt Jackman das eine oder andere Mal zu den Klängen des ersten Cap-Films zurück, Tracks wie The Smithsonian erinnern stark an Aaron Coplands Musik, die ihrerseits Vorbild für Silvestri und den typischen Americana-Sound im Allgemeinen sind. Dennoch ist das eigentlich Thema des Titelhelden in diesem Film eine im Vergleich zum Captain America March knappe Tonfolge, das stärker an Zimmers Dark-Knight-Motiv erinnert.

Tyler Bates‘ „Guardians of the Galaxy“ kehrt dann wieder zu dem von Silvestri und Tyler geprägten MCU-Sound zurück. Die Musik von James Gunns Überraschungs-Hit wird zwar deutlich von den Songs dominiert, doch der Score bekommt trotzdem genug Platz und beinhaltete mit dem Guardians-Thema sowie The Ballad of the Novas Corps zwei äußerst markante und einprägsame Themen. Leitmotivische Kontinuität sucht man hier freilich vergebens, da alle Figuren völlig neu eingeführt werden, aber stilistisch passt Bates‘ Score wunderbar zu denen von Tyler und Silvestri.

„Avengers: Age of Ultron“ ist der bisher wohl interessanteste Score im MCU, primär wegen der Umstände. Brian Tyler hatte sich inzwischen zum dominanten Komponisten des MCU entwickelt und sollte auch den zweiten Avengers-Film vertonen – nach „Iron Man 3“ und „Thor: The Dark World“ zweifellos eine logische Wahl. Dann wurde jedoch überraschend angekündigt, dass Danny Elfman ebenfalls Musik zu „Age of Ultron“ beisteuern würde, was zwei Gründe hatte: Zum einen geriet Tyler in terminliche Schwierigkeiten, da sich sein paralleles Projekt, „Fast & Furious 7“, aufgrund des tragischen Todes von Paul Walker verzögerte. Und zum anderen baute Tyler zwar immer wieder Verweise auf Silvestris Avengers-Thema ein, komponierte jedoch ein neues Avengers-Thema, was entweder Joss Whedon, Kevin Feige oder Marvel Studios nicht besonders schätzten – offenbar hatte man endlich erkannt, wie wichtig eine musikalische Signatur für ein derartiges Franchise ist. Aus diesem Grund wurde Elfman hinzugeholt, der seinerseits ein neues Avengers-Thema komponierte, in das er jedoch Silvestris bereits bestehendes einarbeitete, sodass ein Hybrid entstand. Auch leitmotivisch ist „Age of Ultron“ der wahrscheinlich interessanteste MCU-Score. Ähnlich wie es Silvestri mit seinem Cap-Thema tat, integrierte Tyler die bisherigen Figuren-Themen für Iron Man, Captain America und Thor in fragmentierter, aber doch deutlich erkennbarer Form in den Score – sogar Elfman lässt einmal das Iron-Man-Thema erklingen. Darüber hinaus schrieben Tyler und Elfman einige neue Motive für, u.a. ein Thema für Ultron und die Romanze zwischen Bruce Banner und Natasha Romanoff (Tyler) sowie für Wanda Maximoff (Elfman). „Avengers: Age of Ultron“ lässt sich am besten als „im Konzept erfolgreich, in der Durchführung holprig“ beschreiben, was primär an der oben geschilderten Entstehung liegt, die auch dafür sorgte, dass Brian Tyler seinen Posten als Pseudo-Lead-Composer verlor.

„Ant-Man“ beendete nicht nur Phase 2, sondern inspirierte Christophe Beck auch zu einem der aufgrund seines außergewöhnlichen Rhythmus einprägsamsten MCU-Themen. Außerdem zeigte sich, dass Beck, Marvel Studios oder beide nun in weitaus größerem Ausmaß gewillt waren, auf die leitmotivische Kontinuität zu achten, denn nicht nur zitierte Beck Silvestris Avengers-Thema, selbst das Falcon-Motiv aus „Captain America: The Winter Soldier“ spielte er in der entsprechenden Szene kurz an. Stilistisch orientiert sich Beck durchaus am bisher dagewesenen, erweitert es aber um jazzige Stilmittel, die oft mit dem Agenten-Film im Allgemeinen und den James-Bond-Filmen im Speziellen assoziiert werden.

Phase 3

Deutlich mehr als Phase 1 und 2 ist Phase 3 von zurückkehrenden Komponisten geprägt. Das beginnt gleich beim ersten Film, „Captain America: Civil War“. Die Russos vertrauten die Vertonung ihres zweiten Cap-Films erneut Henry Jackman an, der sich dieses Mal vom übermäßig elektronischen Stil des Vorgängers distanzierte und sich stilistisch an den Rest des MCU anpasste. Sowohl Jackmans eigenes Cap-Thema als auch der Winter-Soldier-Schrei kehren zurück; zusätzlich findet sich ein subtiler Gastauftritt des Avengers-Themas. Dasselbe lässt sich leider nicht über Steve Rogers ursprüngliches Thema sagen, was „Civil War“ zum ersten Film macht, in dem Captain America zwar auftritt, der zugehörige Marsch aber nicht wenigstens ein Mal erklingt. Für Black Panther, Zemo, Spider-Man und den Konflikt zwischen den beiden Fraktionen komponierte Jackman Motive, die aber relativ unspektakulär sind und auch nicht weiter verwendet werden.

Mit „Doctor Strange“ feierte Michael Giacchino, der bekanntermaßen Aufträge in hochkarätigen Franchises sammelt wie andere Leute Briefmarken (neben Marvel u.a. Jurassic Park, Star Trek und Wars, Planet der Affen, Mission Impossible und mit Matt Reeves als Regisseur nun wohl auch Batman), seinen Einstand ins MCU. „Doctor Strange“ ist ein Score, der sich stilistisch stark von den anderen abhebt. Thematisch finden sich keine Verknüpfungen, da der Film, bis auf die Mid-Credits-Szene, primär für sich alleine steht. Um die magisch-psychedelische Qualität des Films zu betonen, setzte Giacchino auf eine ebenso wilde wie ungewöhnliche Instrumentenkombination. Neben dem klassischen Orchester kommen unter anderem Sithar, E-Gitarre, Cembalo und Orgel zum Einsatz, was dem Score im bisherigen MCU ziemlich einzigartig macht und zugleich einen distinktiven musikalischen Stil für Doctor Strange schafft, der den „Sorcerer Supreme“ durch die weiteren Filme begleitet, auch wenn sein eigentliches Thema das nicht tut.

Über „Guardians of the Galaxy Vol. 2” gibt es relative wenig zu sagen, was in diesem Kontext sehr positiv zu verstehen ist: Tyler Bates kehrte als Komponist zurück, sodass das Sequel sowohl leitmotivisch als auch stilistisch wunderbar zum Vorgänger passt – keine negativen Überraschungen, aber auch keine Gastauftritte anderer Themen (was inhaltlich ohnehin nicht gegeben wäre).

Bei „Spider-Man: Homecoming“ haben wir einen ähnlichen Fall wie bei „Thor: The Dark World“: Ein Komponist, der bereits einen MCU-Film vertont hat, schreibt die Musik für einen weiteren – zwischen beiden besteht jedoch keine direkte Verbindung. Diese Inkarnation des Netzschwingers ist deutlich stärker mit dem MCU verbunden als Doctor Strange es in seinem Film war: Spider-Man feierte sein Debüt in „Captain America: Civil War“ und Tony Stark ist die Mentorenfigur. Das spiegelt sich auch in der Musik wieder, die sich stilistisch weitaus näher am MCU-Standard orientiert. Mehr noch, Giacchinos neues Spider-Man-Thema ist gewissermaßen ein Hybrid aus der Melodie des klassischen Spider-Man-Titelliedes aus den 60ern und den Avengers-Themen von Elfman und Silvestri – letzteres kommt darüber hinaus auch am Anfang und am Ende vor. Bezüglich leitmotivischer Kontinuität hätte „Homecoming“ fast perfekt sein können, hätte Giacchino nicht den Drang verspürt, ein neues Iron-Man-Thema zu komponieren, anstatt Brian Tylers weiterzuverwenden.

Dem Beispiel der Iron-Man-Trilogie folgend bekam auch Thor in seinem dritten Film wieder einen neuen Komponisten. Mark Mothersbaugh reicherte für Taika Waititis knallbunte, überdrehte Space Opera das Orchester mit 80er-Retro-Synth-Elementen an, die den Stil des Scores dominieren und komponierte ein neues Thema für Thor; anders als andere Komponisten bemühte er sich allerdings auch, auf musikalische Kontinuität zu achten. Das beginnt bereits bei seinem Thor-Thema, dieses wirkt wie ein verkürzter Hybrid aus den bisherigen beiden Themen von Doyle und Tyler. Zusätzlich finden sich einige Direktzitate aus früheren Scores: In der Theater-Szene, in der Lokis Tod von Matt Damon und Liam Hemsworth nachgespielt wird, erklingt Musik, die tatsächlich aus „Thor: The Dark World“ stammt, Thors Versuch, Hulk auf Black-Widow-Manier zur Zurückverwandlung zu bewegen, wird mit dem Bruce/Natasha-Thema aus „Age of Ultron“ untermalt und am Ende erklingt Doyles Thema im Kontrapunkt zu Mothersbaughs. Darüber hinaus verwendet Mothersbaugh zwar nicht Giacchinos Doctor-Strange-Thema, bedient sich in den entsprechenden Szenen allerdings der spezifischen Instrumentierung.

Ludwig Göransson setzte den Trend der durch besondere Instrumentierung hervorstechenden MCU-Scores mit „Black Panther“ fort – in diesem Fall durch eine Kombination aus klassischer Sinfonik, afrikanischen Stilmitteln und Instrumenten (primär Percussions) und Hip Hop. Wie „Doctor Strange“ hebt sich auch „Black Panther“ vom Rest des musikalischen MCU ab und bleibt, zumindest hier, erst einmal separiert – es finden sich keine Zitate aus bisherigen Filmen.

Für „Avengers: Infinity War“ brachte man schließlich Alan Silvestri zurück. Er und die Russos entschlossen sich, hier bezüglich der thematischen Kontinuität eher zurückhaltend vorzugehen. Das Avengers-Thema spielt eine sehr dominante Rolle und auch das Tesseract-Thema, das inzwischen als Leitmotiv für alle Infinity-Steine fungiert, kehren zurück. Hinzu kommt ein Thema für Thanos und… im Großen und Ganzen war es das. Keines der Themen für die einzelnen Helden taucht in diesem Film auf, selbst Silvestris eigenes Cap-Thema macht sich rar. Die große Ausnahme ist ein Statement von Göranssons Blak-Panther-Thema, bei dem es sich allerdings um eine Direktübernahme aus dem Black-Panther-Score handelt. Gegen Ende des Films bedient sich Silvestri, ähnlich wie Mothersbaugh, der Doctor-Strang-Instrumentierung, um den Kampf zwischen Thanos und dem „Sorcerer Supreme“ zu untermalen, doch abermals wird das Thema nicht direkt zitiert.

Bei „Ant-Man and the Wasp” verhält es sich ähnlich wie bei „Guardians of the Galaxy Vol. 2“: Derselbe Komponist, Christophe Beck, kehrte zum Sequel zurück und entwickelte den Sound und die Themen des Erstlings konsequent weiter, integrierte aber keine nennenswerten Überraschungen oder Gastauftritte von Themen anderer Komponisten. Stattdessen entwickelte er Ant-Mans Thema weiter und schrieb ein passendes Leitmotiv für seine geflügelte Partnerin.

Für „Captain Marvel“ ergriff mit Pinar Toprak erstmals eine Komponistin den Taktstock für einen MCU-Film. Ähnlich wie Mark Mothersbaugh entschied sie sich für einen Orchester/Synth-Hybridscore mit einem durchaus einprägsamen Titelthema für Carol Danvers. Am Ende des Films wird dem Avengers-Thema ein kleiner Gastauftritt eingeräumt, als Nick Fury durch Danvers‘ Spitzname auf die Idee kommt, dem Superheldenteam gerade diesen Namen zu geben.

Konzeptionell geht der Score von „Avengers: Endgame“, abermals von Alan Silvestri, in eine ähnliche Richtung wie die Musik von „Age of Ultron“. Anders als bei „Infinity War“ entschloss man sich, dieses Mal in größerem Maß auf die individuellen musikalischen Identitäten zumindest einiger Helden zurückzugreifen, auch wenn das Avengers-Thema nach wie vor das dominierende Leitmotiv ist. Das trifft besonders auf Captain Americas Thema zu; während Steve Rogers Präsenz in „Infinity War“ eher zurückgefahren war, steht er im vierten Avengers-Film noch einmal im Zentrum, und das spiegelt sich in der Musik wider. Erfreulicherweise ist sich Silvestri dieses Mal nicht zu schade, auch einige der anderen Komponisten zu zitieren. Bei Carol Danvers‘ beiden großen Auftritten bedient er sich beispielsweise Pinar Topraks Captain-Marvel-Thema, Ant-Mans erster Auftritt im Film wird mit einer subtilen Variation von Christophe Becks Thema untermalt und im New York des Jahres 2012 erklingt Giacchinos Doctor-Strange-Thema, das hier allerdings nicht dem Doktor selbst, sondern seiner Vorgängerin als Sorcerer Supreme gilt. Selbst ein Auszug aus Mark Mothersbaughs „Thor: Ragnarok“ wird zitiert.

„Spider-Man: Far From Home” schließlich markiert Michael Giacchinos dritten MCU- und zweiten Spider-Man-Score – dementsprechend entwickelt er das in „Homecoming“ etablierte Material für den Netzschwinger nicht nur weiter, sondern führt neue Themen für Mysterio und SHIELD ein. Darüber hinaus bekommen sowohl Giacchinos Iron-Man-Thema als auch das Avengers-Thema Gastauftritte.

Fazit: Vor allem in Phase 1 des MCU gab es bezüglich der Musik keinen Gesamtplan, und selbst in späteren Jahren versuchte man, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Erst nach und nach begannen das Studio, die Filmemacher und natürlich MCU-Guru Kevin Feige darauf zu achten, dem MCU eine gemeinsame stilistische und leitmotivische Grundlage zu verleihen. Das wichtigste Werkzeug ist dabei das Avengers-Thema, das inzwischen zur musikalischen Visitenkarte des Marvel Cinematic Universe geworden ist und als verbindendes Element fungiert. Zwar werden die Themen der einzelnen Heroen immer noch mitunter recht stiefmütterlich behandelt, aber immerhin ein Thema fungiert als durchgängiger Anker.

Prelude to Rebellion

Preludetorebellion
Es wird mal wieder Zeit für etwas Retrospektive. Blicken wir zurück in die für mich persönlich aufregendste Zeit als Star-Wars-Fan: Die Ära der Prequels. Als „The Phantom Menace“ in die Kinos kam, änderte dieser Film nicht nur die Wahrnehmung des und das Verhältnis vieler Fans zum Franchise, auch die Star-Wars-Medienlandschaft verwandelte sich nachhaltig. Das Erweiterte Universum (inzwischen Legends) hatte sich bislang entweder auf Geschichten konzentriert, die nach Episode VI, zwischen den Episoden IV bis VI oder sehr, sehr lange vor ihnen spielen – etwa die Comicreihe „Tales of the Jedi“, deren Handlung 5000 bis 4000 Jahre vor den Filmen stattfindet. Die unmittelbare Vergangenheit der weit, weit entfernten Galaxis – der Untergang der Jedi, die Klonkriege und der Auftstieg des Imperiums, wurden für die Autoren des EU zur Tabuzone erklärt, da George Lucas in den 90ern ja bereits an den Prequels werkelte. Das änderte sich, als Episode I in greifbare Nähe rückte: 1998, nur wenige Monate vor dem Kinostart, startete der Comic-Verlag Dark Horse, seit 1991 Inhaber der Star-Wars-Lizenz, eine neue Serie mit dem schlichten Titel „Star Wars“, die diese neue Ära, die die Prequels erschlossen, erforschen sollte. Besagte Serie erhielt später den Namen „Star Wars Republic“ und sollte einige der besten Star-Wars-Comics überhaupt beinhalten. In diesem Beitrag möchte ich allerdings einen Blick auf den ersten Handlungsbogen, „Prelude to Rebellion“ werfen. Mit „Prelude to Rebellion“ verbinde ich auch ein großes Ausmaß an Nostalgie, da dieser Handlungsbogen auch einer der ersten der damals vom Dino-Verlag herausgegebenen deutschen Star-Wars-Heftserie war, die für mich einen essentiellen Einstiegspunkt ins EU darstellt.

In „Prelude to Rebellion“ greifen sich Autor Jan Strnad und Zeichner Anthony Winn ein Mitglied des neu etablierten Hohen Rates der Jedi, Ki-Adi-Mundi, heraus und erzählen ein Abenteuer, das relativ kurz vor Episode I stattfindet. Der Großteil der Handlung spielt auf Ki-Adi-Mundis Heimatwelt Cerea, ein Planet, auf dem die herrschende Elite sehr konservativ und technikfeindlich ist, während die Jugend, angeheizt von fremden Agitatoren, den Aufstand probt. Zu den Aufständischen Jugendlichen gehört auch Mundis Tochter Sylvn sowie ihr Freund Maj-Odo-Nomor. Ki-Adi-Mundi selbst gehört zu den eher konservativen Kräften, die Technologie ablehnen, was ihn etwas zwiespältig erscheinen lässt, da er sich als Jedi-Ritter fortschrittlicher Technologie immer wieder bedienen muss. Bei einer Kundgebung kommt es zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Maj-Odo-Nomor versehentlich einen seiner Freunde tötet und zusammen mit Slyvn verschwindet. Ki-Adi-Mundi verfolgt die Spur seiner Tochter und stößt auf eine Verschwörung, die es zum Ziel hat, die Unruhen auf Cerea zu schüren, um dort Waffen verkaufen zu können. Einer der Hauptverantwortlichen ist Ephant Mon, ein Komplize des berüchtigten Jabba the Hutt. Auf sich allein gestellt und ohne sein Lichtschwert muss Ki-Adi-Mundi die ganze Wahrheit herausfinden, um seine Tochter retten zu können…

„Prelude to Rebellion“ ist sowohl als Tie-In zu Episode I als auch in Hinblick auf die späteren beiden Prequels interessant. Man kann wohl davon ausgehen, dass Lucasfilm die inhaltlichen Informationen noch recht spärlich herausrückte, als Jan Strnad seine Skripte schrieb, denn die Story des sechsteiligen Handlungsbogen wirkt noch etwas kontextlos. Auch visuell erkennt man relativ wenig vom Stil von Episode I wieder, Anthony Winns Raumschiffe wirken beispielsweise relativ generisch – man kann über die Prequels sagen, was man will, aber sie hatten einen ziemlich distinktiven Stil, was Raumschiffdesign angeht. Erst im Verlauf der Handlung nehmen die Bezüge zu „The Phantom Menace“ zu; so wird etwa enthüllt, dass die Handelsföderation ihre Finger in irgend einer Form mit im Spiel hat, was aber relativ konsequenzlos bleibt. Jabbas Rolle als letztendlicher Oberschurke der Geschichte kann wohl auch auf seinen kleinen Cameo-Auftritt in Episode I zurückgeführt werden.

Bei der Konzeption des Jeditums in „Prelude to Rebellion“ zeigt sich, dass man sich bei Dark Horse noch an dem orientierte, was zuvor im EU gezeigt wurde, in dem Jedi weitaus autonomer agierten, weniger elitärer und zentralisierter Orden und mehr autonomes, individuelles Rittertum. Ki-Adi-Mundi lebt auf seinem Heimatplaneten, hat diverse Töchter und fünf Ehefrauen. Das wirkt gerade im Kontext von „Attack of the Clones“ äußerst merkwürdig, aber die Ehelosigkeit der Jedi wurde erst mit diesem Film etabliert. Ki-Adi-Mundis familiäre Zustände wurden im Zuge von Episode II als große Ausnahme erklärt. Da die Cereaner ein Mann-Frau-Verhältnis von 1 zu 20 haben, ist jeder männliche Cereaner für den Fortbestand der Spezies mitverantwortlich. Dennoch wurden Ki-Adi-Mundis familiäre Verhältnisse nach „Prelude to Rebellion“, von knappen Erwähnungen abgesehen, nie wieder thematisiert.

Ansonsten ist „Prelude to Rebellion“ eine relativ kleine, regional beschränkte Geschichte, die einige durchaus interessante Fragen anreißt und die alte SW-Thematik „Technik vs. Natur“ aufgreift. Diese erste Geschichte der Prequel-Ära bleibt auch insgesamt ziemlich konsequenzlos; sie ist definitiv nicht schlecht und durchaus kurzweilig, im Vergleich zu späteren Handlungsbögen der Republic-Serie verblasst „Prelude to Rebellion“ jedoch. Tatsächlich ist der interessanteste Teil die „Beilage“. In den Heften 4 bis 6 erzählt Jan Strnad, mit Unterstützung des Zeichners John Nadeau, quasi als Zugabe noch die „Entstehungsgeschichte“ Ki-Adi-Mundis und zeigt, wie dieser als Kind von der Jedi An’ya Kuro, auch bekannt als „dunkle Frau“, für den Orden rekrutiert wird, um anschließend als junger Ritter zurückzukehren. Auch diese Geschichte mit dem Titel „Vow of Justice“ passt nicht so recht zu später etablierten Gebräuchen der Jedi, da jegliche Bindung zur alten Heimatwelt abgelehnt wird, zugleich liefert sie aber eine Jugendgeschichte für Ki-Adi-Mundi, die zumindest mit „Prelude to Rebellion“ schön harmoniert.

Fazit: „Prelude to Rebellion“ ist selbst für Leser, die sehr an der Prequel-Ära interessiert sind, kein Must-Read. Dafür handelt es sich aber um einen interessanten Übergangscomic, was die Darstellung der Jedi angeht; hier werden noch Ideen und Konzepte aus dem Prä-Prequel-EU aufgegriffen, die zeigen, wie eine von Dark-Horse-Autoren gestaltete Prequel-Ära hätte aussehen können.

Bildquelle

Uzumaki: Spiral Into Horror

9783551757524
Anime und Manga gehören eigentlich nicht so sehr zu meinen Fachgebieten. Wie die meisten meiner Generation hatte ich in der Grundschul- und frühen Gymnasiumszeit meine Anime-Phase mit „Pokemon“, „Digimon“, „Yu-Gi-Oh!“ und „Dragon Ball Z“, darüber waren meine Erfahrungen allerdings verhältnismäßig begrenzt; mal eine Episode „Elfenlied“ hier und eine Episode „Hellsing“ da, jedoch nichts Profundes. Aber man soll seinen Horizont ja immer mal wieder erweitern. Irgendwann lief mir, sinnbildlich gesprochen, Junji Ito über den Weg, der als einer der besten und profiliertesten Horror-Mangaka gilt. Das allein hätte eventuell noch nicht mein Interesse geweckt, allerdings gibt er selbst an, dass H.P. Lovecraft zu seinen Einflüssen zählt. Darüber hinaus hat er den Ruf, immer wieder Elemente des kosmischen Horrors in seinem Werk zu verarbeitet. Mehr aus Zufall entschied ich mich für „Uzumaki: Spiral Into Horror“, in Deutschland bei Carlsen zuerst als dreibändige Serie und dann als einbändiges Hardcover erschienen, und: Volltreffer.

Kirie und Shuichi sind Schüler in der japanischen Kleinstadt Kurōzu-cho, die von merkwürdigen Ereignissen heimgesucht wird, die alle mit Spiralen zu tun haben. Es beginnt damit, dass Shuichis Vater eine Besessenheit für Spiralen entwickelt und schließlich seinen eigenen Körper zu einer Spirale verformt, was ihn das Leben kostet. Daraufhin entwickelt Shuichis Mutter eine panische Angst vor Spiralen, die sie in den Wahnsinn treibt. Auch andere Bewohner der Stadt werden von „der Spirale“ vereinnahmt. Jedes Spiralenvorkommen entwickelt ein ebenso beängstigendes wie bizarres Eigenleben; u.a. wachsen Spiralen auf den Rücken von Menschen, die sich anschließend in übergroße Schnecken verwandeln, mörderische Wirbelstürme entstehen und nach und nach wird die ganze Stadt auf verschiedenste Weisen von Spiralen heimgesucht.

In vielerlei Hinsicht erinnert „Uzumaki“ an Lovecrafts „The Colour out of Space”: In beiden Geschichten wird eine kleine Stadt von einer mysteriösen Macht heimgesucht, die sich durch etwas scheinbar Alltägliches manifestiert, das dann völlig außer Kontrolle gerät – bei Lovecraft eine Farbe, bei Ito Spiralen. Interessanterweise fehlen in „The Colour of ouf Space“ jegliche Bezüge zum Cthulhu-Mythos, die Farbe wird nicht mit den Großen Alten oder den Äußeren Göttern in Verbindung gebracht, sie ist einfach. So ähnliche verhält es sich auch in „Uzumaki“: Die Spiralen werden nie wirklich erklärt oder auf etwas bestimmtes zurückgeführt. Zwar dringen Kirie und Shuichi am Ende ins Herz des Phänomens vor, doch was sie finden, bleibt mysteriös und fremdartig, eine nicht erklärbare Macht.

Neben diesem kosmischen Schrecken, der „Uzumaki“ innewohnt, materialisiert sich das Grauen – auch hier finden sich Parallelen zu Lovecraft – oft durch beunruhigende und bizarre körperliche Metamorphosen. Grauen im Medium Comic zu vermitteln ist natürlich immer eine besondere Herausforderung, gerade im Vergleich zum Film – Ito gelingt es meisterhaft, mit seinen detaillierten und filigranen Zeichnungen, ebenso verstörende wie kreative Alpträume aufs Papier zu bringen. Dies wird durch den Umstand verstärkt, dass Itos Zeichnungen wenig übertrieben und sehr realistisch sind – die stilistischen Übertreibungen, die oft mit Mangas assoziiert werden, sucht man hier erfreulicherweise vergebens.

Eine weitere Parallele zu Lovecraft findet sich bei den Protagonisten: Zwar sind diese nicht eigenbrötlerische Intellektuelle, wie es bei HPL so oft der Fall ist, sondern Schüler, aber sie sind äußerst passive Protagonisten, die keine eigene Agenda haben; sie verfolgen kein Ziel, ihnen passieren Dinge oder sie beobachten, gerade zu Beginn den Schrecken als marginal beteiligter Zuschauer, dem Leser nicht unähnlich. Erst nach und nach werden sie stärker in die Ereignisse verwickelt und der Wahnsinn der Spirale ergreift auch sie.

Fazit: Selbst wer, wie ich, nicht allzu Manga-affin ist, sollte sich als Horror-Fan im Allgemeinen oder Lovecraft-Fan im Besonderen „Uzumaki: Spiral Into Horror“ nicht entgehen lassen – man wird Spiralen nie wieder mit denselben Augen sehen.

Bildquelle