Nicht nur inhaltlich, auch formal orientieren sich viele der Autoren, die in Lovecrafts Fußstapfen treten, an ihrem Vorbild. Im Klartext bedeutet das, dass viele von ihnen Kurzgeschichten oder Novellen schreiben. „Cthulhoide“ Romane existieren durchaus, sie sind aber seltener. „Nathaniel“ (2006 erschienen) ist einer dieser Romane und stammt sogar von einem deutschen Autor, Michael Siefener.
Die Prämisse ist dabei eher ungewöhnlich: Wir schreiben eine düstere Zukunft, in der die Menschheit fast jegliche zivilisatorischen Errungenschaften, inkulsive der Schrift, verloren hat und vom fanatischen Kult des Gottes Guttu unterdrückt wird. Der Protagonist und Namensgeber des Romans, Nathaniel, hinterfragt die Zustände nicht, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, da ihn sein alter Freund Edward Derby aufsucht und auf seiner Türschwelle stirbt, allerdings nicht, ohne Nathaniel vorher einen mysteriösen Gegenstand zu überreichen und ihn zu bitten, diesen einer Person namens Asenath zu übergeben. So macht sich Nathaniel auf die Suche nach Asenath, stößt dabei auf eine Gruppe von Rebellen, die die Vorschriften des Kultes nicht akzeptiert und kommt schließlich auch hinter das Geheimnis des unterdrückerischen Gottes.
Schon bei dieser knappen Inhaltsangabe dürfte dem Lovecraft-Fan auffallen, dass hier einige Figuren auftauchen, die nach Charakteren aus Lovecrafts Geschichten benannt sind. Nathaniel Wingate Peaslee stammt aus „The Shadow out of Time“, Edward Derby und Asenath aus „The Thing on the Doorstep“ und Wilbur und Lavinia Whatheley, in „Nathaniel“ Mitglieder der Rebellengruppe, wurden aus „The Dunwich Horror“ entlehnt. Damit enden die Metaaspekte dieser Romans allerdings noch nicht, denn im Vorwort wird „Nathaniel“ als verschollener Roman H. P. Lovecrafts ausgegeben, den Siefener nur übersetzte (was natürlich nicht der Fall ist). Das mag beim Lesen für jemanden, der mit Lovercrafts Stil vertraut ist, erst einmal seltsam erscheinen. Zwar gibt es ein paar stilistische Anleihen, im Großen und Ganzen unterscheidet sich Siefeners Stil jedoch stark von dem Lovecrafts, und auch davon abgesehen gibt es hier Handlungskonzepte, die bei Lovecraft nie auftauchen würde, etwa eine angedeutete Romanze. Diese Diskrepanz wird allerdings im Epilog des Romans, der aus fiktiven Briefen Lovecrafts besteht, aufgegriffen. Dieser metafiktionale Rahmen ist leider auch das interessanteste Element an Siefeners Roman. Während die Prämisse durchaus noch vielversprechend ist, lässt die Umsetzung eher zu wünschen übrig.
Siefener schreibt nicht schlecht, es gelingt ihm aber auch nicht wirklich, die Handlung und die Personen wirklich interessant oder spannend zu machen; fast alles hat man an anderer Stelle schon besser gelesen. Siefener versucht, das Gefühl des kosmischen Grauens, das in Lovecrafts Texten so dominant ist, zu erwecken, aber so recht will es ihm einfach nicht gelingen, vor allem auch, weil der Handlungsverlauf doch äußerst vorhersehbar ist. Das ist wirklich schade, denn die Grundidee und der metafiktionale Rahmen sind äußerst vielversprechend.
Fazit: So gerne ich auch einen deutschen Cthulhu-Roman empfehlen würde, Michael Siefeners „Nathaniel“ ist leider nur Standardkost; da gibt es selbst aus deutschen Landen weitaus gelungenere Geschichten.
Siehe auch:
Lovecrafts Vermächtnis: Der Cthulhu-Mythos