Spoilerificus totalus! Wer nichts wissen will, liest nicht weiter!
Harry Potter war ein wichtiger Teil meiner Kindheit und Jugend. Da ich ziemlich genauso alt bin wie Daniel Radcliff (und zu allem Überfluss auch noch am 31. Juli Geburtstag habe, genau wie Harry und seine Schöpferin) hab ich praktisch das perfekte Alter – als Band 7 erschien, war ich 17 Jahre alt. Ich entdeckte die Serie noch während meiner Grundschulzeit, verschlang die ersten drei Bände und wartete von diesem Zeitpunkt begierig auf jedes neue Buch und jeden neuen Film. Erst „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ schaffte es, meine Begeisterung zu bremsen; nach wie vor bin ich mit dem Ausgang der Serie nicht zufrieden. Dennoch, wer sich so sehr in ein Franchise vertieft, kommt davon nicht mehr los, wie man vielleicht merkt, wenn man die Harry-Potter-Kategorie dieses Blogs durchstöbert. Wie dem auch sei, dieses Jahr erlebt das Franchise eine Revitalisierung an zwei Fronten: Zum einen kommt das Prequel bzw. Spin-off „Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ im November ins Kino und zum anderen gibt es ein weitere Fortsetzung von Harrys Geschichte, und zwar auf der Theaterbühne. „Harry Potter and the Cursed Child“ feierte seine Premiere nach diversen Previews am 30. Juli 2016, einen Tag später wurde das Skript des Stückes veröffentlicht, und das möchte ich hier nochmal deutlich betonen, weil man immer wieder von falschen Erwartungen hört, mit denen die Leute an dieses Buch herangehen: Es ist keine Romanfassung des Stückes, es ist ein tatsächliches Skript, das nur aus Dialog und Regieanweisungen besteht. Und es wurde auch nicht von J. K. Rowling allein verfasst, die Geschichte des Stückes stammt von ihr, für die Dramatisierung ist jedoch vornehmlich der Theaterautor Jack Thorne verantwortlich, und auch John Tiffany, der Regisseur, hat seinen Teil beigetragen.
Bevor ich den Inhalt bespreche, noch eine kurze Warnung vorweg: Ich hab das Stück nicht gesehen, alles Folgende bezieht sich ausschließlich auf das im Handel erhältliche Skript. Das könnte vor allem deshalb wichtig sein, weil die eigentliche Aufführung zumeist sehr positiv bewertet wird, was sich über das Skript nicht sagen lässt.
Nun denn, frisch ans Werk. „Harry Potter and the Cursed Child“ beginnt genau dort, wo „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ endet, tatsächlich sind die ersten beiden Szenen eine erweiterte Version des bereits bekannten Epilogs. Wir folgen Albus Severus Potter, der bald mit Scorpius Malfoy Freundschaft schließt, nach Hogwarts wo er, entgegen aller Erwartungen, vom sprechenden Hut nach Slytherin gesteckt wird. Schon bald stellt sich heraus, dass Albus, wie auch sein Vater, mit der eigenen Berühmtheit zu kämpfen hat, allerdings geht er damit ganz anders um als Harry, was unter anderem dazu beiträgt, dass sich das Verhältnis zwischen beiden ziemlich verschlechtert. Die ersten vier Schuljahre von Albus werden knapp in einigen Einzelszenen thematisiert, die eigentliche Handlung beginnt im vierten Schuljahr. Albus‘ Unzufriedenheit wächst immer weiter und auch Scorpius hat seine Probleme, da das Gerücht umgeht, er sei in Wahrheit nicht der Sohn von Draco Malfoy, sondern von Lord Voldemort. Die Situation eskaliert, als Harry eines Tages Besuch von Amos Diggory erhält, der über den Verlust seines Sohnes Cedric immer noch verbittert ist, Harry die Schuld gibt und ihn dazu überreden möchte, besagten Tod mithilfe eines Zeitumkehrers, der beschlagnahmt wurde, zu verhindern. Harry lehnt ab, doch Albus und Skorpius werden von Amos‘ Nichte Delphini dazu angestiftet, den Plan auszuführen, und es kommt wie es kommen muss: In bester Zurück-in-die-Zukunft-Manier bricht temporales Chaos aus mit allem was dazugehört: Rückkehr in die Vergangenheit, Logiklöcher, dumme, dumme Entscheidungen und alternative Zeitlinien.
Der häufigste Kritikpunkt an „Harry Potter and the Cursed Child“ ist, dass es sich wie Fanfiction liest. Da möchte ich ein wenig differenzieren: Es gibt durchaus Fanficitions, an das Niveau des Originals herankommen oder es sogar in einigen Aspekten übertreffen, die Welt sinnvoll und glaubhaft erweitern und qualitativ hochwertig sind. „Harry Potter and the Cursed Child“ erinnert an schlechte Fanfiction. Wer einschlägige Archive durchstöbert, wird sehr schnell auf Geschichten stoßen, die sich derselben Elemente bedienen. Am deutlichsten wird das, wenn man sich Delphini betrachtet: Diese Figur, in Wahrheit nicht Amos Diggorys‘ Nichte, sondern Lord Voldemorts Tochter, schreit geradezu nach schlechter Fanfiction, nicht nur ist sie als Figur flach und schlecht konstruiert, ihre bloße Existenz ist höchst unlogisch. Alles in allem ist „Harry Potter and the Cursed Child“ kaum eine wirkliche Weiterführung der Serie, das Stück ist in höchstem Maße selbstreferenziell, ohne dem bereits Bekannten eine neue Seite abzugewinnen. Schlimmer noch: Wie schon in „Die Heiligtümer des Todes“ werden dem Voranschreiten der Handlung oftmals die Figuren und die Logik der erzählten Welt geopfert. Gerade in Details passt vieles oft nicht zur bereits etablierten Welt der Romane. Als bestes Beispiel fungiert die alternative Zeitlinie, in der Voldemort den Krieg gewonnen und Dolores Umbridge Schulleiterin von Hogwarts ist. In einer Welt, die von Voldemort regiert wird, nimmt jeder problemlos seinen Namen in den Mund, der Gruß des Regimes ist „Voldemort and Valour“. Das passt in meinen Augen überhaupt nicht zu dem Voldemort, der Jahrzehnte lang daran gearbeitet hat, dass sein Name gefürchtet wird wie der keines anderen Zauberers.
Trotz allem gibt es durchaus auch einige positive Aspekte: Mir gefiel Grundkonstellation der Figuren, die Tatsache, dass Albus Severus in Slytherin landet und sich mit Scorpius anfreundet (wobei „anfreundet“ eigentlich untertrieben ist). In manchen Dialogzeilen und Witzen schimmert darüber hinaus die alte Magie durch und man erinnert sich, wie es war, die alten Harry-Potter-Bände zum ersten Mal zu lesen. Leider ändert das kaum etwas daran, dass die Handlungen der Figuren mitunter so absurd und idiotisch und viele Wendung fürchterlich unlogisch und weit hergeholt sind, dass „Harry Potter and the Cursed Child“ mitunter wie eine Selbstparodie wirkt.
Dennoch muss ich zugeben, wenn sich mir die Gelegenheit bieten würde, ich würde mir das Stück ansehen, denn die Bühnenumsetzung des Skripts macht mich schon neugierig, denn was man so dort liest, klingt höchst aufwendig, wenn es nicht gerade eine absolut minimalistische Inszenierung sein sollte.
Fazit: Vielleicht machen Darsteller und Bühnenmagie ja einen Unterschied, aber als Skript weiß „Harry Potter and the Cursed Child“ absolut nicht zu überzeugen, die Handlung gleicht einer unausgegorenen Fanfiction, die außer Referenzen und Logiklöchern nur wenig zu bieten hat.