Enthält die volle Ladung Spoiler!
Für die GoT-Staffeln 3, 4 und 5 schrieb ich seinerzeit umfassende Episodenreviews, während ich bei Staffel 6 darauf verzichtet habe. Das hat zwei Gründe: Zum einen war ich von Staffel 5 nicht wirklich begeistert und zum anderen sind besagte Reviews sehr zeitintensiv. Aus diesem Grund folgt nun, da die Staffel komplett ist, dieser ausführliche Artikel. Wir befinden uns im Hinblick auf die Staffel an einem interessanten Punkt. Staffel 5 adaptierte (für mich leider eher mäßig) „A Feast for Crows“ und „A Dance with Dragons“. Da „The Winds of Winter“ (mit Ausnahme einiger Kapitel, die George R. R. Martin auf seinem Blog veröffentlichte oder auf Conventions vorlas) immer noch nicht erschienen ist, begibt sich die Serie nun erstmals völlig auf Neuland und folgt keiner Vorlage mehr. Es sind noch George R. R. Martins Figuren, aber es ist nicht mehr seine Geschichte – das könnte als Leitsatz dieses Artikels fungieren. Fakt ist allerdings: Wie viel von Martins Geschichte übrig ist, wie viel er den Serienschöpfern David Benioff und D. B. Weiss verraten hat, ist nicht wirklich klar. Staffel 6 gibt Antworten auf viele Fragen, aber sind es die Antworten Martins oder doch die der Serienschöpfer? In Bezug auf einige Dinge haben Benioff und Weiss erklärt, sie stammten tatsächlich von Martin, etwa was Melisandres Alter und wahre Erscheinung oder die Bedeutung von Hodors Namen angeht. Die Antwort auf die Frage, wie viel Martin tatsächlich noch in Staffel 6 steckt, kann erst mit „The Winds of Winter“ und/oder „A Dream of Spring“ beantwortet werden.
Words Are Wind
Die Eigenständigkeit von Staffel 6 gilt jedoch mit Einschränkungen, denn einige Aspekte stammen tatsächlich noch aus den bereits erschienenen Romanen oder aus veröffentlichten Winter-Kapiteln. Das betrifft primär Jaime Lannisters Ausflug in die Flusslande. Nachdem Cersei nach Lord Tywins Tod die Macht in King’s Landing übernimmt und den Kleinen Rat mit Ja-Sagern füllt, schickt sie im Roman wie in der Serie Jaime von ihrer Seite, weil er ihr unangenehm wird. In der Serie soll Jaime Myrcella aus Dorne retten, eine Mission, die zum schlimmsten Handlungsstrang der Serie wurde, platt, schlecht geschrieben, uninteressant und langweilig. In „A Feast for Crows“ dagegen begibt sich Jaime in die Flusslande, um die letzten Tully-Loyalisten zu besiegen und Riverrun, das vom Blackfish gehalten wird, zurückzuerobern. Diese Ereignisse werden nun, wenn auch stark verkürzt, nachgeholt.
Darüber hinaus greift die Serie noch einige andere Aspekte der Romane auf, die bislang nicht berücksichtigt wurden. Großmaester Pycelle stirbt im Epilog von „A Dance with Dragons“, ermordet von Kindern – diese folgen im Roman allerdings nicht Qyburns, sondern Varys‘ Befehl. Die Folgen von Aryas Blindheit wird darüber hinaus noch im letzten Roman thematisiert, wenn auch detaillierter und mit unterschiedlichen Ereignissen. Zu Pastete verarbeitete Freys tauchen in „A Dance with Dragons“ ebenfalls auf, wenn auch in völlig anderem Kontext (Ramsays Hochzeit, der Schuldige ist Lord Wyman Manderly und Lord Walder selbst ist nicht zugegen), und schließlich setzt die Serie nun auch eine Rückblicksszene bzw. Erinnerung um: Während Eddard Stark in „A Game of Thrones“ nach seiner Auseinandersetzung mit Jaime Lannister auf dem Krankenbett liegt, erinnert er sich an den „Tower of Joy“ und das letzte Gespräch mit seiner Schwester Lyanna, bei dem er ihr etwas verspricht (als Leser erfährt man nicht was, aber man kann es sich denken). In Staffel 6 sieht Bran besagte Szene durch seine Gaben, hier wird allerdings geklärt, was es mit dem Versprechen auf sich hat. Gleichzeitig wird die Fantheorie bestätigt, dass Jon Snow nicht der Bastard von Eddard Stark, sondern tatsächlich der Sohn von Lyanna Stark und Rhaegar Targaryen ist – zumindest für die Serie.
Heartsbane
Eigentlich könnte man Sams und Gillys Handlungsstrang ebenfalls noch zu den adaptierten Elementen rechnen. In „A Feast for Crows“ fahren die beiden per Schiff über Braavos nach Oldtown, damit Sam Maester werden kann und Gilly samt Kind bei Sams Familie auf Horn Hill unterkommt. Einige der Ereignisse dieser Reise, etwa der Tod von Maester Aemon, wurden bereits in Staffel 5 umgesetzt, mit Castle Black als Schauplatz. Der Ausflug nach Braavos und das Zusammentreffen mit Arya wurden gestrichen, stattdessen geht Sam zusammen mit Gilly nach Horn Hill, um anschließend von dort aus nach Oldtown zu fahren. Das hat zur Folge, dass wir als Zuschauer Randyll Tarly (James Faulkner), Sams Vater kennen lernen. Zwar sind die Szenen in Horn Hill serienspezifisch, Lord Tarly taucht aber auch in „A Feast for Crows“ auf, um Brienne das Leben schwerzumachen. Insgesamt denke ich, dass die Figur sehr gut umgesetzt ist: Im Buch wie in der Serie ist Randyll Tarly ein ziemlich engstirniges Arschloch. Martin zeichnet ihn ein wenig subtiler als Benioff und Weiss, aber davon abgesehen ist er gut getroffen.

Sams Diebstahl des Familienschwertes aus valyrischem Stahl namens Heartsbane (wir erinnern uns an die Folge „Hardholm“: Valyrischer Stahl kann Weiße Wanderer töten) ist ein netter Akt der Emanzipation, auch wenn man sich fragt, ob Lord Tarly nicht ein wenig besser auf diese Klinge achtgeben würde. Wie auch immer, Sams Handlungsstrang in dieser Staffel endet dort, wo auch sein Handlungsstrang in „A Feast for Crows“ endet: In Oldtown, in der Citadel, wo er sich anschickt, ein Maester zu werden. Als bibliophiler Mensch, der ich nun einmal bin, hat mir die Einstellung der Bibliothek besonders gut gefallen.
Unbowed, Unbent, Unbroken
Oh, Dorne. Der allgemein unbeliebteste Handlungsstrang der letzten Staffel; Benioff und Weiss haben es hier geschafft, eine interessante Kultur zu ruinieren und aus einem hochinteressanten politischen Ränkespiel einen Idiot Plot erster (bzw. letzter) Güte zu konstruieren, dem jeglicher Sinn und jegliche Logik fehlt. Das Beste, was sich über Dorne in Staffel 6 sagen lässt, ist, dass Ellaria und die Sandschlangen nur in der ersten und letzten Folge auftauchen. Logischer wird es leider nicht: In „The Red Woman“ sind Obara und Nymeria plötzlich unerklärlicherweise auf Trystanes Schiff und töten ihn, während Ellaria und Tyene Doran Martell ermorden und in Dorne die Macht übernehmen. Bei aller Liebe, das ist völlig hirnverbrannt und entbehrt jeglicher Logik. Ja, in Dorne ist man Bastarden und Frauen gegenüber aufgeschlossener als im Rest der Sieben Königslande, und ja, Doran Martell hat vielleicht gerade nicht den besten Ruf. Aber es ist völlig irrsinnig zu glauben, dass Bastarde auf diese Weise einfach die Macht übernehmen könnten, nachdem sie den amtierenden Fürsten getötet haben. Bestenfalls würde das Land nach einer derartigen Tat in Anarchie versinken, da es keinen rechtmäßigen Erben gibt. Hier wird das feudale System zugunsten eines idiotischen Plots völlig ausgeklammert. In „The Winds of Winter“ (Folge 10 von Staffel 6, nicht der unveröffentlichte Roman) schließt sich Dorne unter Ellarias Führung schließlich mal eben schnell Daenerys an. Damit hat sich Dorne als Schauplatz wohl erst einmal erldeigt, es sei denn, Daenerys benutzt es in der nächsten Staffel als Basis für ihren Eroberungsfeldzug.
Intermezzo: Chicken
Als angekündigt wurde, dass Ian McShane in Staffel 6 eine Gastrolle spielen würde, begann das Spekulieren, das sich als müßig erwies, da er eine neue Figur namens Bruder Ray verkörpert. Burder Ray ist Teil eines… interessanten Inzermezzos in Episode 7 der sechsten Staffel mit dem Titel „The Broken Man“. In dieser Folge stellt sich heraus, dass Sandor Clegane, der Bluthund, den Arya Stark in der letzten Folge der vierten Staffel sterbend zurückließ, noch ziemlich quicklebendig ist und einer kleinen Gemeinde, angeführt von Bruder Ray, dabei hilft, eine Septe zu bauen. Offenbar hat er der Gewalt mehr oder weniger abgeschworen.

Unter Buchfans existierte schon lange die Theorie, Sandor Clegane habe überlebt. In „A Feast for Crows“ landen Brienne und Pod auf ihrer Reise durch die Flusslande auf einer Art „Klosterinsel“ des Glaubens; dort finden sie einen sehr großen, schweigsamen Totengräber, der Sandor Clegane sein könnte. Diese Theorie wird durch die Anwesenheit von Cleganes Pferd Fremder bestärkt. Auch weiß der „Klostervorsteher“, der als Vorbild für Bruder Ray fungiert haben könnte, erstaunlich viel über den Bluthund. Einer beliebten Fantheorie zufolge wird Sandor Clegane in „The Winds of Winter“ in Cersei Lannisters Gottesurteil gegen seinen eigenen, von Qyburn verfrankensteinten Bruder Gregor antreten. Als ich „The Broken Man“ sah, dachte ich, dass dies auch in der Serie der Fall sein würde, es stellte sich aber als eine der wenigen Fantheorien heraus, die Staffel 6 nicht bestätigt. Bislang ist das Intermezzo relativ folgenlos geblieben: Ehemalige Anhänger der Bruderschaft ohne Banner töten Bruder Ray und seine Gemeinde, was Sandor nicht besonders gut verkraftet. Es kommt schließlich zu einem Wiedersehen mit Beric Dondarrion und Thoros von Myr (Ersterer wurde in den Romanen von der untoten Catelyn Stark als Anführer der Bruderschaft abgelöst; damit dürfte klar sein, dass es in der Serie dazu sicher nicht mehr kommen wird), die es schaffen können, Sandor für ihre Sache zu rekrutieren. Gemeinsam wollen sie nach Norden ziehen; vermutlich kommt es in der nächsten Staffel zu Begegnungen mit Jon Snow, Melisandre und/oder Sansa – besonderes Letztere könnte interessant werden.
A Thousand Eyes and One
Nachdem er eine Staffel Pause gemacht hat, ist Bran Stark nun zurück und lernt von Lord Brynden Rivers, alias Bloodraven, alias Dreiäugige Krähe (nun nicht mehr, wie in der letzten Folge der vierten Staffel, von Struan Rodger, sondern von Max von Sydow dargestellt) die Grünseherei. Wie schon in den Romanen erinnert das Setting an Luke Skywalkers Dagobah-Aufenthalt in Episode V. Die Star-Wars-Assoziationen werden noch durch Max von Sydow verstärkt, der eine Obi-Wan-artige Figur spielt (inklusive Tod des Mentors) und darüber hinaus, wenn auch nur kurz, in „Das Erwachen der Macht“ als Lor San Tekka zu sehen war.

Während Bran in den Romanen in der Lage war, durch die Augen der Wehrholzbäume zu sehen und so Zeit und Raum zu überwinden, ist er in der Serie nicht an die Wehrholzbäume gebunden und kann offenbar zu jedem Ort seiner Wahl reisen. Das erlaubt den Machern, mehrere Rückblicke einzubauen und mehrere Fragen zu beantworten, die uns Fans schon lange plagen. So sehen wir unter anderem, dass es sich beim ersten Weißen Wanderer, dem sogenannten „Night King“, um einen Menschen handelt, der von den Kindern des Waldes durch ein Blutopfer verwandelt wurde, um als Waffe gegen die einfallenden Ersten Menschen zu dienen. Das Geheimnis von Hodors Name und Kondition wird kurz vor seinem Tod enthüllt („Hold the Door“) und die Frage, wer Jon Snows Eltern sind, wird, wie oben bereits erwähnt, beantwortet. Schließlich gelingt es dem Night King, in das geheime Versteck der Krähe einzubrechen und diese zu töten, wodurch Bran sein Nachfolger wird. An dieser Stelle greifen Benioff und Weiss ein weiteres Element der Romane auf: Ein mysteriöser, vermutlich untoter Reiter in der Kleidung der Nachtwache, der sich als Benjen Stark entpuppt, taucht auf und rettet Bran und Anhang (in „A Storm of Swords“ rettet er allerdings Sam und Gilly und bringt Bran, Meera, Jojen und Hodor zu Brynden Rivers, während seine Identität nie enthüllt wird). Eine weitere Stark-Wiedervereinigung wird somit sehr wahrscheinlich.
We Do Not Sow
Noch eine Gruppe von Figuren, die eine Staffel lang Pause gemacht hat. Zum letzten Mal haben wir Yara (bzw. Asha) in Staffel 4 gesehen, als sie versuchte, Theon aus Ramsays Klauen zu befreien. Ihr Handlungsstrang aus „A Feast for Crows“ und „A Dance with Dragons“ wurde aus Staffel 5 komplett entfernt. Einige Elemente werden nun hier nachgeholt, die meisten wurden jedoch völlig verändert. In der Serie wie in der Vorlage stirbt Balon Greyjoy (bei Martin sogar noch vor der Roten Hochzeit), was zur Folge hat, dass der Königsthing von Balons jüngstem Bruder, dem zum Priester gewordenen Aeron (Michael Feast) einberufen wird, der Balons Bruder Euron (Pilou Asbæk) zum König der Iron Islands wählt, während Yara/Asha übergangen wird. So viel zu den Gemeinsamkeiten. In der Serie fehlen allerdings einige signifikante Faktoren, primär Balons dritter Bruder Victarion. Dafür ist Theon Greyjoy in der Serie zugegen, nachdem er Sansa geholfen hat und dann per Expressschiff nach Pyke gefahren ist. Und während Asha nach dem Königsthing im Norden eine eroberte Burg hält und später als Kriegsgefangene von Stannis Baratheon endet, begeben sich Theon und Yara mit ihren Getreuen gen Osten und schließen sich Daenerys an, da ihr Onkel ihnen nach dem Leben trachtet.

Ich bin mit der Umsetzung dieses Handlungsstranges ehrlich gesagt nicht besonders zufrieden, was vor allem an der Besetzung Euron Greyjoys liegt. Pilou Asbæk passt für mich überhaupt nicht in die Rolle des charismatischen, mysteriösen Piraten, den George R. R. Martin beschreibt; dafür hätte es jemanden wie Mads Mikkelsen gebraucht. Asbæk hätte perfekt zum geschnittenen Victarion gepasst. Auch geht alles ziemlich schnell und wirkt irgendwie sehr klein. Die Iron Islands sind nun nicht die prächtigste Gegend von Westeros, aber in den Romanen hatte man dennoch das Gefühl, dass hier ein bedeutendes Ereignis stattfindet, dem alle wichtigen Bewohner der Iron Islands samt Gefolge beiwohnen. In der Serie laufen beim Königsthing höchstens zehn bis zwanzig Leute herum.
I Am No One
Arya wird nach wie vor von den Männern und Frauen ohne Gesicht trainiert, bzw. von dem Mann und der Frau. Wie bei Martin ist sie vorübergehend blind und erlangt im weiteren Verlauf ihre Sehkraft wieder – ein weiterer Aspekt, der noch aus den Büchern stammt. Das Problem in der Serie: Aryas Ausbildung mäandert so vor sich hin und ist einfach nicht interessant, während sie in den Büchern tatsächlich auf abwechslungsreiche Missionen geschickt wird. Erst, als sie in der Serie den Auftrag erhält, eine bestimmte Schauspielerin namens Lady Crane (Essie Davis) zu töten, kommt ein wenig Leben in ihren Handlungsstrang. Besagte Schauspielerin ist nämlich Teil eines Ensembles, das ein Theaterstück aufführt, das auf den Ereignissen in Westeros basiert und dem Ganzen eine schöne Metaebene hinzufügt. Nicht von ungefähr erinnert das Stück an Shakespeares Verarbeitung der Rosenkriege. Im Stück tritt Tyrion als Schurke á la Richard III. auf, eine historische Persönlichkeit, die durch die Geschichtsschreibung der Tudors im Allgemeinen und William Shakespeares gleichnamiges Stück im Besonderen als einer DER machiavellistischen Schurken der Weltliteratur gilt. Tatsächlich basiert Tyrion zumindest teilweise auf Richard III., der in der Realität gar nicht so übel war, zwar durchaus intelligent und rücksichtslos, aber bei weitem nicht das tyrannische Monster, als das Shakespeare ihn zeichnet. Die Idee für dieses „Stück im Stück“ stammt übrigens von Martin selbst, es ist Teil eines im Vorfeld veröffentlichten Arya-Kapitels aus „The Winds of Winter“.

Wie dem auch sei, das Stück veranlasst Arya dazu, Jaqen H’Gars Anweisungen und Methoden zu hinterfragen. Nach einer Auseinandersetzung mit der Herrenlosen („the Waif“) hört sie schließlich auf, Niemand zu sein und nimmt ihre alte Identität wieder an, um in der letzten Folge mal eben kurz Walder Frey zu töten. Das bringt mich zu einem verwandten Thema: Reisewege werden in dieser Staffel fast völlig ausgeklammert. Selbst unter Berücksichtigung der von Autoren und Produzenten getätigten Aussage, dass die Handlungsstränge nicht synchron verliefen, passt das alles nicht so recht. Dass die Schlusszene der letzten Folge, in der Daenerys‘ Flotte gen Westeros segelt, zeitlich von den anderen Ereignissen der Episode entfernt ist, kann ich noch akzeptieren (in der Flotte sind dornische Schiffe, was erklären würde, wie Varys von Dorne wieder zu Daenerys gekommen ist), aber das Tempo, in dem sich Littlefinger bewegt, legt nahe, dass er ein Jet-Pack besitzt – bereits seit Staffel 2 eine beliebte Fantheorie.
The North Remembers
Am Ende von Staffel 5 stapelten sich die Cliffhanger im Norden regelrecht: Stannis Armee wurde von den Boltons besiegt, er selbst von Brienne getötet, während Sansa und Theon entkommen konnten und Jon Snow von seinen eigenen Brüdern ermordet wurde. Besonders Letzteres geisterte ausgiebig durch die Medien und allen Beteiligten wurde die Frage gestellt: „Ist Jon Snow wirklich tot?“ Das ist natürlich die falsche Frage, sie müsste eigentlich lauten: „Bleibt Jon Snow tot?“ Und natürlich bleibt er das nicht, schließlich ist Melisandre im Nebenzimmer. Ob es wirklich sie war, die Jon Snow wiedererweckt hat, oder ob es auch mit einem getöteten Schattenwolf zusammenhängt, wurde im Fandom heftig debattiert, von der Serie aber nicht aufgeklärt – letztendlich ist es auch irrelevant. Die Fronten klären sich im Norden endgültig: Nach Stannis‘ Tod wird Ser Davos Seaworth zu Jon Snows rechter Hand, Sansa erreicht sicher die Mauer, es kommt zur Wiedervereinigung von Halbbruder und Halbschwester und Tormund macht Brienne schöne Augen. Ramsay bekommt derweil noch einmal ausreichend Gelegenheit dazu, sich so richtig fies zu verhalten, u.a. in dem er seinen eigenen Vater tötet, so ziemlich die einzige Person, die ihn noch kontrollieren könnte, und auch gegenüber Walda Frey, Rickon Stark und Osha verhält er sich sehr Ramsay-typisch. Mal ehrlich: Langsam aber sicher wiederholt man sich an dieser Front viel zu sehr, wir wissen schon seit Staffel 3, was für ein Monster Ramsay ist, wir müssen nicht alle zwei Folgen daran erinnert werden.

Die nördlichen Handlungsstränge gipfeln alle schließlich in einer Schlacht, die den (oder zumindest einen) dramatischen Höhepunkt dieser Staffel darstellt, ganz ähnlich wie in den Staffeln 2 und 4. Jon Snow, die Wildlinge und einige Häuser des Nordens, primär die Mormonts, stehen auf der einen Seite, Ramsay und einige andere auf der anderen. Die Schlacht der Bastarde vor den Mauern Winterfells ist optisch beeindruckend und vermittelt ausgezeichnet die Klaustrophobie eines solchen Ereignisses. Gleichzeitig gibt es aber auch einige Aspekte, die mich genervt haben. Da wäre zum einen Jon Snows völlig kopfloses Verhalten und zum anderen die Tatsache, dass schon wieder am Ende die Kavallerie auftaucht, um den Tag zu retten. Gut, es war abzusehen, aber dennoch. Jedenfalls wird Ramsay nach seiner Niederlage von seinen eigenen Hunden gefressen, das Stark-Banner weht wieder über Winterfell und Jon Snow wird von den Lords des Nordens zum König im Norden erhoben – kommt mir vage bekannt vor. Nach so vielen Staffeln, in denen es mit den Starks bergab ging, kann man ihnen durchaus ein wenig Erfolg gönnen (dass Rickon tot ist, scheint niemanden groß zu interessieren). Wir werden sehen, ob Jon Snow als König mehr Erfolg hat als Robb Stark.
The Lannisters Send Their Regards
Zu Anfang von Staffel 6 ist Cersei am Ende: Sie wurde öffentlich gedemütigt und verfügt über keinerlei Macht mehr. Und es kommt noch schlimmer: Dem Hohen Spatz gelingt es, ihren Sohn Tommen auf seine Seite zu ziehen. Darüber hinaus will Tommens Kleiner Rat, primär bestehend aus Ser Kevan Lannister und Lady Olenna Tyrell, ihr keinerlei Macht oder Kontrolle zugestehen. Bis zum Ende der Staffel sieht das ganz anders aus… Tatsächlich wirkt der Großteil des King’s-Landing-Handlungsstrangs wie ein weiterer, konstanter Abstieg Cerseis, während der Hohe Spatz seine Macht sichert und weiter ausbaut, um das Königreich endgültig zu übernehmen. In der Mitte der Staffel plant Cersei sogar einen Coup, ihr gelingt es, Kevan Lannister und Olenna Tyrell zu überzeugen, Margaery mit Gewalt aus den Klauen Glaubens zu befreien, um einen Marsch der Schande zu verhindern – nur um festzustellen, dass der Hohe Septon es geschaft hat, König und Königin zu seinen Marionetten zu machen. Die Situation wird für die königliche Witwe immer verworrener, also greift sie zu verzweifelten Maßnahmen und tut, was Alexander der Große mit dem gordischen Knoten tat. Als alle Würdenträger des Reiches (inklusive Margaery, Loras und Mace Tyrell, Kevan Lannister und natürlich dem Hohen Spatz) in Baelors Septe versammelt sind, jagt sie sie mithilfe von Seefeuer in die Luft. Umso ironischer, dass Tommen daraufhin Selbstmord begeht und Cersei somit die Schuld am Tod ihres letzten Kindes trägt. Ich persönlich finde, dass das alles etwas zu schnell und einfach geht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Handlungsstrang bei Martin ganz anders verlaufen wird (wenn auch eventuell mit ähnlichem Ausgang), schon allein wegen diverser Faktoren, die in der Serie keine Rolle spielen, etwa der Tod Kevan Lannisters durch Varys und die Landung Aegons VI. Auf der anderen Seite: Sämtliche Cersei-Szenen der letzten Episode sind exzellent inszeniert, Ramin Djawadi hat hier wirklich gelungene Musik geschrieben (primär das Stück Light of the Seven), Atmosphäre, Bildsprache – alles wunderbar gelungen. Ganz allgemein ist die Ironie dieser Entwicklung natürlich köstlich, und das nicht nur, weil Cersei Tommens Tod nun selbst herbeigeführt hat. Mehr denn je erinnert sie in dieser Folge an Aerys Targaryen, der King’s Landing mit Seefeuer zerstören wollte – genau das, was Cersei nun teilweise getan hat. Wird Jaime nun auch zum „Queenslayer“? Wird eine Targaryen die irre Lannister-Königin töten, so wie ein Lannister den irren Targaryen-König getötet hat?

Apropos Königsmörder: In diesem Zusammenhang ist wohl noch Jaimes kleiner Abstecher in die Flusslande erwähnenswert, in dessen Rahmen wir die Freys und Tullys wiedersehen. Wie bereits erwähnt handelt es sich hier um Material aus den Romanen, das noch nachgeholt wurde, wenn auch stark zurechtgestutzt. Das Ganze funktioniert dennoch relativ gut, weil Jaimes Handlungsstrang in „A Feast for Crows“ und „A Dance with Dragons“ realtiv episodisch verläuft. Ich freue mich, dass diese Elemente der Romane es noch in die Serie geschafft haben, obwohl es sich letztendlich um Füllmaterial handelt und man nicht viel durch das Weglassen verloren hätte.
Fire and Blood
Auch im weit entfernten Meereen gibt es noch etwas Buchmaterial, das es aufzuarbeiten gibt. Der komplexe Daenerys-Handlungsstrang aus „A Dance with Dragons“ wurde in Staffel 5 nur sehr reduziert umgesetzt; während sich die Mutter der Drachen am Ende besagter Staffel an derselben Stelle findet wie ihr Buchgegenstück – umringt von Dothraki – sieht das in Meereen anders aus. Die Stadt wird im Roman von den Streitkräften (bzw. den Sklaven- und Söldnerheeren) von Yunkai, Astapor, Neu Ghis und Volantis belagert. Ser Barristan Selmy, den Benioff und Weiss bereits sehr unrühmlich abgemurkst haben, findet sich als „Hand der Königin“ wieder und muss versuchen, diese chaotische Stadt, die von innen und außen belagert wird, zu regieren. Die Serie setzt diesen Sachverhalt ganz ähnlich um, nur dass es hier Tyrion ist, der mithilfe von Varys, Missandei und Grey Worm die Ordnung aufrecht erhalten muss, während Daario und Jorah nach Daenerys suchen. Wie bei Martin rücken schon bald die Belagerer aus Yunkai und Astapor an, die den Sklavenhandel wieder vollständig einführen wollen. Bei all seiner Gewitztheit gelingt es Tyrion trotz allem nicht, den Angriff auf die Stadt zu verhindern.
Im Gegensatz dazu marschiert Daenerys fast schon von Erfolg zu Erfolg. Sie wird von den Dothraki nach Vaes Dothrak gebracht, wo sie Teil der Dosh Khaleen, der Khals-Witwen werden soll, worauf sie allerdings keine Lust hat. Mit der Hilfe Jorahs, Daarios und einiger Dosh Khaleen schafft sie es, die regierenden Khals zu töten, einen ähnlichen Auftritt wie in Staffel 1 hinzulegen und so sämtliche Dothraki auf ihre Seite zu ziehen. Dann gelingt es ihr auch mal eben schnell, Drogon völlig zu kontrollieren, sodass sie mit einer weiteren Armee in Meereen einmarschieren und die Sklavenhändler genüsslich grillen kann. Am Ende geht es mit der Flotte der Eisenmänner gen Westeros.

Auch hier läuft alles für meinen Geschmack ein wenig zu schnell und problemlos. Man kann Benioff und Weiss schon verstehen: Nach so vielen Staffeln wollen sie dem Publikum geben, worauf es wartet (oder worauf sie glauben, dass es wartet). Leider wird hier oftmals die Glaubwürdigkeit und Logik geopfert, vor allem bezüglich der Zähmung Drogons, der auf jedwede Suggestion am Ende von Staffel 5 noch sehr unwillig reagiert hat, während er jetzt plötzlich vollkommen ergeben ist.
Winter Has Come
Die sechste Staffel von „Game of Thrones“ ist für mich außerordentlich schwer zu bewerten. Um eines gleich einmal vorwegzunehmen: Ich mochte sie insgesamt definitiv lieber als Staffel 5. Bei dieser hatte ich stets das Gefühl, dass die Schockmomente inzwischen zum Selbstzweck geworden sind und ohne Rücksicht auf Verluste (oder Logik) umgesetzt wurden. Auch das gnadenlose Eindampfen diverser Handlungsstränge auf ein absolutes Minimum ist mir oftmals sauer aufgestoßen. Staffel 6 arbeitet natürlich mit dem Material aus Staffel 5 weiter, aber gerade in dieser Hinsicht ist es vielleicht von Vorteil, dass sie, mit Ausnahmen, ohne Vorlage agiert und ich keinen Vergleich habe. Somit ist Staffel 6 für mich weitaus weniger frustrierend. Natürlich sterben immer noch viele, viele Leute, aber diese Tode wirken weniger sensationsheischend – wen kümmert schon Rickon Stark?
Darüber hinaus wirkt Staffel 6 auf mich, als versuche man die Fans nun für den langen Aufbau vorheriger Staffeln zu entschädigen, denn plötzlich geht alles verhältnismäßig schnell. Man hat das Gefühl, in fast jeder Folge würde eine wichtige Frage beantwortet oder ein Ereignis treffe ein, auf das man schon lange gewartet hat. Wir erfahren, wer tatsächlich Jon Snows Eltern waren, wie der erste Weiße Wanderer entstand und woher Hodors Name kommt. Mit Ramsay, Walder Frey und dem Hohen Spatz sterben einige der verhasstesten Figuren, Haus Stark gewinnt wieder an Stärke, Daenerys bricht gen Westeros auf etc. Gleichzeitig kann ich mich eines bestimmten Gefühls nicht erwehren, dass mich schon in Staffel 5 beschlich: Es ist George R. R. Martins Welt, es sind George R. R. Martins Figuren (mehr oder weniger), aber es ist nicht mehr George R. R. Martins Geschichte, die hier erzählt wird. Das gewisse Etwas, das „Game of Thrones“ zu einer außergewöhnlichen Serie gemacht hat, fehlt. Komplexität, Konsequenz und Logik wird nun oftmals dem Ausgang geopfert, das Ziel ist wichtiger als der Weg.
Natürlich muss man auch beachten: In „A Feast for Crows“ und „A Dance with Dragons“ wurde Martins Welt von Eis und Feuer immer komplexer. Während in den ersten drei Romanen trotz allem einige klare Handlungsstränge auszumachen waren, drifteten sämtliche Figuren nun immer weiter auseinander, es kamen immer mehr Figurenperspektiven dazu, was das adaptieren nicht gerade einfacher macht. Dennoch ist auffällig, wie viel in dieser Staffel, gerade im Vergleich zu den bisherigen, geschieht und wie schnell es voran geht. Und tatsächlich müsste ich lügen, würde ich sagen, dass es darunter nicht viele Dinge gibt, die auch ich nur allzu gerne sehe. Dennoch, „Game of Thrones“ wirkt nun einfacher – ich will nicht sagen „banaler“, aber doch gewöhnlicher, die Handlung, die Figurenentwicklung etc. gleicht stärker anderen TV-Serien. Eine wirklich endgültige Meinung werde ich wohl erst haben, wenn „The Winds of Winter“ erschienen ist und ich weiß, wie Martin seine Geschichte weitererzählt, ob er dieselben Ziele auf anderem Wege erreicht oder ob seine Handlung in eine völlig andere Richtung steuert.
Davon einmal abgesehen ist „Game of Thrones“ nach wie vor die wohl derzeit opulenteste und optisch beeindruckendste Serie überhaupt, gerade bezüglich Dramatik und Bildsprache (bestes Beispiel, wie erwähnt, ist Folge 10) legen Benioff, Weiss und ihre Regisseure noch einmal eine ordentliche Schippe drauf. Ebenso gibt es bezüglich der Darsteller kaum etwas zu meckern, im Gegenteil. Höchstens die Dornischen sind nach wie vor suboptimal, aber bei zwei kurzen Auftritten fällt das kaum ins Gewicht. Insgesamt definitiv besser als Staffel 5, allerdings merkt man, sowohl in den positiven als auch negativen Aspekten, dass Martin, wenn überhaupt, nur noch marginal an der Serie beteiligt ist und dass Benioff und Weiss seine Geschichte mehr oder weniger hinter sich gelassen haben und ihr eigenes Ding durchziehen.