Halloween 2015
Es gibt ein paar Werke, die man unbedingt gelesen haben sollte, wenn man sich mit dem literarischen Vampir in irgendeiner Form beschäftigt. Neben „Dracula“, „The Vampyre“ und „Carmilla“ gehört dazu vor allem auch Anne Rice‘ „Interview mit einem Vampir“. Tatsächlich bin ich der Meinung, dass „Interview mit einem Vampir“ das Genre in einem Ausmaß beeinflusst hat, den seit „Dracula“ kein Werk mehr hatte. Stokers Roman hat den Vampir für das 20. Jahrhundert definiert, Anne Rice hat dasselbe für das 21. Jahrhundert getan.
Der Roman
„Interview mit einem Vampire“ (Originaltitel: „Interview with the Vampire“) erschien im Jahr 1976. Im Roman erzählt der Vampir Louis de Point du Lac einem Reporter (dessen Name laut einem der Folgeromane „Daniel Molloy“ lautet, der hier aber nur als „der Junge“ bezeichnet wird) seine Lebensgeschichte. Im Jahr 1791 ist Louis noch ein Mensch und Herr über eine Plantage in der Nähe von New Orleans. Nach dem Tod seines religiösen Bruders ist Louis schwer traumatisiert und sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben. Exakt zu diesem Zeitpunkt taucht der Vampir Lestat auf und macht Louis zu Seinesgleichen, vor allem, so glaubt Louis zu wissen, um an die Plantage zu kommen. Die beiden Vampire kommen allerdings nicht wirklich miteinander klar, denn während Lestat grausam und pragmatisch ist, ist Louis darauf bedacht, seine Menschlichkeit zu bewahren, er hadert mit seinem Schicksal und der Tatsache, dass er jede Nacht töten muss, um zu überleben. Nach mehreren Auseinandersetzungen möchte Louis Lestat schließlich verlassen, doch Lestat verwandelt das fünfjährige Mädchen Claudia in einem Vampir, da er weiß, dass das „gemeinsame Kind“ Louis an Lestat binden würde.

Die drei Vampire „leben“ 65 Jahre zusammen. Obwohl Claudia eine gewisse Wesensähnlichkeit zu Lestat besitzt (auch sie tötet ohne Reue), beginnt sie, ihren Schöpfer zu hassen, da er sie, die nun im Geist erwachsen ist, im Körper eines Kindes gefangen hat. Mit Louis‘ mehr oder weniger freiwilliger Teilnahme tötet sie Lestat (oder glaubt es zumindest). Anschließend begeben sich die beiden auf eine Weltreise, um weitere Vampire und eventuell sogar den Ursprung der Untoten zu finden. In Osteuropa stoßen sie tatsächlich auf andere Vampire, doch bei diesen handelt es sich um hirnlose Monster, kaum mehr als blutsaugende Tiere. Erst in Paris finden die beiden weitere Vampire wie sie selbst, die ein Theater betreiben und von einem 400 Jahre alten Vampir namens Armand angeführt werden. Louis verliebt sich in Armand, was dazu führt, dass es zum Bruch zwischen Louis und Claudia kommt. Um zu gewährleisten, dass für Claudia gesorgt ist, verwandelt Louis die trauende Mutter Madeleine ebenfalls in einen Vampir. Schon kurz darauf nehmen allerdings die Vampire des Theaters Louis, Claudia und Madeleine gefangen; es stellt sich heraus, dass Lestat überlebt und mit den Vampiren des Theaters konspiriert hat, um Claudia, die mit Madeleine der Sonne überantwortet wird, zu opfern und Louis zurückzugewinnen.
Daraus wird allerdings nichts, denn Louis nimmt Rache an den Vampiren des Theaters und zieht daraufhin mit Armand um die Welt, wobei er einige Zeit später Lestat noch einmal trifft. Als Armand bemerkt, dass Louis‘ Lebenswille verloschen ist, trennt er sich von ihm, womit die Geschichte endet. Nachdem Daniel alles gehört hat, bittet er Louis, ihn ebenfalls in einen Vampir zu verwandeln, was diesen sehr verärgert, da Daniel offensichtlich die Moral der Geschichte nicht verstanden hat. Louis greift ihn an, doch Daniel überlebt und der Roman endet damit, dass er sich auf die Suche nach Lestat macht.
„Interview mit einem Vampir“ basiert auf einer Kurzgeschichte, die Anne Rice bereits im Jahr 1968 oder 69 fertigstellte. Obwohl viele der grundsätzlichen Ideen in besagter Geschichte schon vorhanden waren, hatte sie doch einen gänzlich anderen Tonfall als „Interview“. 1970 wurde bei Rice‘ Tochter Michelle Leukämie festgestellt, an der sie zwei Jahre später starb. In „Interview“ verarbeitete Rice ihre Depressionen und den Schmerz über den Tod ihrer Tochter – Claudia und ihr Schicksal im Roman wurden von Michelle eindeutig inspiriert. „Interview“ ist der mit Abstand nihilistischste und hoffnungsloseste von Rice‘ Romanen, sie ringt darin spürbar mit dem Verlust, der Akzeptanz und der Sinnlosigkeit der Existenz. Auch ihr Abfall vom katholischen Glauben, ihre (damalige) atheistische Weltsicht und die Frage nach Gut und Böse spielen eine wichtige Rolle. Anne Rice selbst beschrieb ihre Vampire einmal als Metapher für „verlorene Seelen“. Darüber hinaus spielt, wie so oft im Genre, Sexualität eine wichtige Rolle. Rice‘ Vampire sind zwar nicht in der Lage, tatsächlichen Geschlechtsverkehr zu haben, aber das Bluttrinken bleibt ein sexuell aufgeladener Akt. Gerade weil der tatsächliche Geschlechtsverkehr nicht möglich ist, geht Liebe und Verlangen bei Rice‘ Vampiren oft über den körperlichen (und auch den geschlechtlichen) Aspekt hinaus, weshalb ihre Werke oft als Metapher für Homosexualität verstanden werden.

Beim Erscheinen erhielt „Interview mit einem Vampir“ eher gemischte Kritiken, manche lobten das Werk, andere sahen den Roman sehr kritisch und bemängelten die Abkehr von dem, was damals als klassische Vampirthematik verstanden wurden. Heute, besonders nach der erfolgreichen Verfilmung, gilt „Interview mit einem Vampir“ allerdings völlig zu Recht als Klassiker des Genres, das die Vampirliteratur und den Vampirfilm prägte wie kaum ein anderes Werk des 20. Jahrhunderts.
Die Chronik der Vampire: Ein Überblick
Nach der doch eher gemischten Reaktion auf „Interview“ machte Anne Rice erst einmal eine Vampirpause von einigen Jahren. In den 80ern kehrte sie zu den Blutsaugern zurück, 1985 erschien die Quasi-Fortsetzung zu „Interview mit einem Vampir“: „Der Fürst der Finsternis“ (mal wieder eine grandiose Übersetzung, der englische Titel lautet „The Vampire Lestat“). Gleichzeitig führte sie den Reihentitel „Die Chronik der Vampire“ („The Vampire Chronicles“) ein. Bei „Der Fürst der Finsternis“ handelt es sich um Lestats Autobiographie, die erzählt, wie Lestat aufwuchs, zum Vampir wurde und diverse Abenteuer vor seiner Begegnung mit Louis erlebte. Außerdem gibt Lestat die Ereignisse aus „Interview“, wenn auch stark verkürzt, aus seiner Sicht wieder und erzählt darüber hinaus, wie er in der Gegenwart „ankommt“. Dabei ist auffällig, dass Lestat ein völlig anderes (weit positiveres) Bild von sich selbst hat als Louis; in „Interview“ sah es so aus, als habe Lestat Louis nie verstanden, nun scheint es umgekehrt zu sein. Dies dürfte auch mit Rice‘ verändertem Blickwinkel zu tun haben, „Der Fürst der Finsternis“ und die folgenden Romane sind weit weniger von Nihilismus und Verzweiflung geprägt als „Interview“.

Auf die ersten beiden Romane der „Chronik der Vampire“ folgten noch elf weitere (zwei davon, „Pandora“ und „Vittorio“, firmieren theoretisch unter dem Reihentitel „New Tales of the Vampires“, in der Praxis macht das allerdings kaum einen Unterschied). Der dritte Band der Serie, „Die Königin der Verdammten“ („The Queen of the Dammned“, 1988), setzt die Handlung von „Der Fürst der Finsternis“ direkt fort, ist aufgrund des Formats allerdings ziemlich einzigartig, denn anders als die meisten anderen Romane der Chroniken ist „Die Königin der Verdammten“ eher eine Sammlung von Kurzgeschichten, die zusammen eine mehr oder weniger kohärente Handlung geben. Somit ist „Die Königin der Verdammten“ zugleich der vielseitigste und vielschichtigste Roman der Serie. Die beiden folgenden Bände, „Nachtmahr“ („The Tale of the Body Thief“, 1992) und „Memnoch der Teufel“ („Memnoch the Devil“, 1995) konzentrieren sich wieder stärker auf Lestat und dessen Streben nach Sinn. Es folgen weitere Autobiographien diverser Vampire, die zumeist in den bereits erschienen Bänden als Nebenfiguren auftauchten: „Armand der Vampir“ („The Vampire Armand“, 1998), „Pandora“ (1998), „Vittorio“ („Vittorio the Vampire“, 1999) und „Blut und Gold“ („Blood and Gold“, 2001, erzählt die Lebensgeschichte von Marius, dem Schöpfer von Armand). Mit „Merrick oder die Schuld des Vampirs“ („Merrick“, 2000) kehrte Rice zu Lestat als Protagonisten zurück und verknüpfte die Chronik mit einer ihrer anderen Romanreihen, „Lives of the Mayfair Witches“. Dies setzte sie mit den beiden folgenden Bänden der Chronik, „Blackwood Farm“ (2002) und „Hohelied des Blutes“ („Blood Canticle“, 2003) fort. „Hohelied des Blutes“ sollte ursprünglich beide Reihen beenden, unter anderem auch, weil Rice zum katholischen Glauben zurückgefunden hatte und nicht mehr über Vampire (oder Hexen) schreiben wollte. In der Zwischenzeit hat sie es sich allerdings wieder anders überlegt, 2014 erschien mit „Prince Lestat“ ein neuer Band der „Chronik der Vampire“ und mit „Blood Paradise“ ist der nächste schon angekündigt.
Ich selbst muss zugeben, dass ich bei Weitem nicht alle Romane der „Chronik der Vampire“ gelesen habe. Zu den gelesenen gehört die „Einstiegstrilogie“ („Interview“, „Fürst“ und „Königin“), die meiner Meinung nach zum Besten gehören, was das Vampirgenre anzubieten hat. Ansonsten habe ich vor allem die späteren Bände gelesen („Merrick“, „Pandora“, „Blackwood Farm“ und „Hohelied des Blutes“) – diese waren in meinen Augen schon durchwachsener, aber immer noch ziemlich gelungen, allerdings mit einer Ausnahme: „Hohelied des Blutes“ hat mir nicht wirklich gefallen, ich fand es ziemlich langweilig, überflüssig und uninspiriert.
Die Verfilmung
Bei einer Besprechung von „Interview mit einem Vampir“, bei der der Fokus letztendlich auf dem Einfluss des Werkes liegt, darf die Verfilmung von Neil Jordan, die 1994 in die Kinos kam, nicht fehlen. Der Roman definierte den Vampir auf gewisse Weise neu, der Film sorgte dafür, dass diese Definition im Mainstream ankam; seither werden die Ideen und Themen im Guten wie im Schlechten en masse weiterverarbeitet.
Vampirfilme gibt es nun ja bekanntermaßen wie Sand am Meer, wirklich gute Vampirfilme sind dagegen eher rar. Umso erfreulicher ist es, dass die Filmadaption eines literarischen Meisterwerkes ein filmisches Meisterwerk geworden ist; „Interview mit einem Vampir“ ist in meinen Augen nicht nur einer der besten, wenn nicht gar DER beste Vampirfilm, sondern auch einer meiner absoluten Lieblingsfilme und eine gekonnte Umsetzung von Rice‘ Geschichte. Jordan schafft es, die Atmosphäre perfekt zu treffen, die Darsteller, egal ob Brad Pitt, Kirsten Dunst oder Tom Cruise (den ich sonst nicht wirklich gerne mag, aber hier spielt er wunderbar) sind optimal und auch die inhaltliche Umsetzung ist exzellent gelungen. Natürlich gibt es einige Kürzungen und Änderungen gegenüber der Vorlage und einige der Nebencharaktere fallen der Schere zum Opfer. So bringt Lestat im Roman seinen blinden, alten Vater mit nach Point du Lac, Louis hat noch Mutter und Schwester (und zu Beginn stirbt sein Bruder, nicht seine Frau) und interessiert sich später für eine Plantagenbesitzerin, während Lestat im Verlauf des Romans noch mindestens zwei weitere Vampire erschafft, einen kurz nach seinem vermeintlichen Tod und einen nach dem Chaos im Theater der Vampire – beide bleiben im Roman allerdings namenlos und fehlen im Film nicht sonderlich. Die Begegnung mit den hirnlosen Vampiren in Osteuropa fehlt ebenso wie Lestats kurzes Auftauchen im Theater der Vampire und Armands und Louis‘ Reisen. Darüber hinaus wurde der Schluss leicht geändert, Daniel macht sich im Film nicht auf die Suche nach Lestat, stattdessen findet Lestat ihn, was zu einem netten Schlusstwist führt. Und natürlich ist Claudia im Film nicht fünf, sondern zwölf, da ein fünfjähriges Mädchen diese Rolle niemals hätte spielen können; schon für eine Zwölfjährige ist das eine enorm anspruchsvolle Aufgabe, die Kirsten Dunst allerdings mit Bravour meistert.
Die wahrscheinlich interessanteste Änderung ist allerdings die Darstellung Lestats. Im Roman kommt er nicht besonders gut weg und ist auch nicht besonders sympathisch, vor allem gegen Ende ist er ein jammerndes Wrack. Der Film-Lestat dagegen geht eher in Richtung „Fürst der Finsternis“. Gerade hier merkt man, dass Anne Rice das Drehbuch selbst verfasst hat und einige Elemente der späteren Romane mit einfließen ließ, denn die Tom-Cruise-Version der Figur ist weitaus sympathischer und schlauer und dafür weniger jämmerlich als die ursprüngliche Figur. Diese Änderung ist nicht so extrem, dass sie den Verlauf der Geschichte stark beeinflusst, sorgt aber doch dafür, dass Film-Lestat interessanter ist als Buch-Lestat.

Freilich gibt es auch noch die Verfilmung von „Die Königin der Verdammten“, mit Stuart Townsend als Lestat und Aaliyah (die sechs Monate vor dem Kinostart in einem Flugzeugabsturz verstarb) als Akasha, die titelgebende Königin und erste Vampirin. Leider steht diese Verfilmung zu „Interview mit einem Vampir“ in einem ähnlichen Verhältnis wie „Batman und Robin“ zu „The Dark Knight“. Von der Komplexität und philosophischen Tiefe der Vorlage ist fast nichts geblieben, die Figuren sind kaum wiederzuerkennen und die Darsteller rangieren zwischen akzeptabel und unterirdisch. Kurz und gut: Über diesen Film breitet man lieber den Mantel des Schweigens.
Die Wirkung
Mit „Interview mit einem Vampir“ (und in geringerem Maße auch den Sequels) etablierte Anne Rice vor allem drei Dinge: Den Vampir als Sympathieträger, den Vampir unter seinesgleichen und das „Vampirduo“. Vor allem Ersteres gab es natürlich bereits vor Anne Rice‘ Romandebüt, der sympathische Vampir geht letztendlich zurück auf Sir Francis Varney, die Titelfigur der Penny-Dreadful-Serie „Varney the Vampire“, die zwischen 1845 und 1847 erschien (womit er älter als Dracula ist), zurück. Auch danach tauchten immer mal wieder sympathische Blutsauger auf, etwa Barnabas Collins aus der TV-Serie „Dark Shadows“, der ganz ähnlich wie Varney und später Louis mit seinem Schicksal hadert. Sogar Dracula selbst mutierte in Fred Saberhagens „The Dracula Tape“ (1975) zum Sympathieträger; in diesem Roman erzählt Saberhagen Stokers Geschichte aus der Perspektive Draculas, mit ihm als Helden und den Vampirjägern als Schurken. Letztendlich waren aber sowohl Francis Varney als auch Barnabas Collins und Saberhagen-Dracula Ausnahmeerscheinungen. Der Vampir blieb in den meisten Fällen ein Antagonist. Anne Rice machte den Vampir, der an seiner Menschlichkeit hängt und mit sich selbst hadert, gewissermaßen salonfähig. Letztendlich ist es vor allem die Verfilmung, die diesen Aspekt des Vampirs noch zementierte. In den 90ern wurde der Vampir endgültig zum Sympathieträger.
Eine weitere Thematik, die vor Rice kaum oder gar nicht umgesetzt wurde, ist der Vampir unter seinesgleichen. Über all die Jahrzehnte hinweg traten Vampire meistens als Einzelgänger auf, Interaktion fand fast ausschließlich menschlichen Opfern statt. Selbst in Geschichten, in denen mehr als ein Vampir vorkam, existierte kaum soziale Interaktion: Auf Draculas Schloss leben zwar noch drei weibliche Vampire, aber alles, was der Graf zu ihnen sagt, ist, dass sie seine Beute gefälligst nicht anfassen sollen. In „Interview mit einem Vampir“ gibt es dagegen zum ersten Mal Einblick in eine Vampirgesellschaft. Schon zu Beginn geht es nicht um das Verhältnis zwischen Mensch und Vampir, sondern um das Verhältnis zwischen Louis und Lestat. Später kommt Claudia dazu, und schließlich lernen Louis und Claudia einen ganzen sozialen Verbund kennen, die Vampire des Theaters in Paris. Erst ab diesem Zeitpunkt begannen Autoren und Filmemacher, die soziale Interaktion von Vampiren und ihr Verhältnis untereinander zu thematisieren. Rice selbst baute mit den weiteren Romanen der Chroniken natürlich darauf auf, aber auch viele andere nahmen sich dessen an, etwa George R. R. Martin, dessen Vampirroman „Fiebertraum“ diesen Aspekt ebenfalls aufgreift, sowie viele weitere Autoren und Autorinnen, wie Charlaine Harris, L. J. Smith und natürlich auch Stephenie Meyer. Selbst in Filmen, in denen der Vampir nach wie vor als Schurke fungiert, finden sich Vampirgesellschaften. Ein gutes Beispiel ist die Blade-Trilogie, die die klassische Thematik „Vampir gegen Jäger“ umdreht: Früher waren es viele Jäger, die gegen einen Vampir vorgingen, nun haben wir einen einsamen Jäger, der gegen ein ganzes soziales System von Vampiren vorgeht, das die menschlichen Institutionen kontrolliert.

Meine Lieblingsverarbeitung der „Vampirgesellschaft“ ist das Rollenspiel „Vampire: The Masquerade“, das sich zwar bei allen vorherigen Inkarnationen des Vampirs großzügig bedient, aber viele der „Basics“ tatsächlich aus „Interview mit einem Vampir“ (und auch „Fürst der Finsternis“ und „Königin der Verdammten“) entlehnt. Dazu gehören unter anderem das Grundkonzept des „Spiels um persönlichen Horror“, in dem der Horror nicht von außen, sondern von innen kommt und der Spieler mit der Menschlichkeit und dem Tötungstrieb ringen muss, aber auch diverse Mechanismen, zum Beispiel die Erschaffung des Vampirs, die biologische Beschaffenheit etc. Und nicht nur V:tM hat sich diesbezüglich bei Anne Rice bedient, ihre Spuren finden sich in allen möglichen Genrewerken der letzten zwanzig bis dreißig Jahre.
Und dann wäre da noch das „Vampirduo“. Damit ist die Charakterdynamik zwischen zwei Vampiren gemeint, die recht gegensätzliche Ansichten vertreten und allesamt auf Louis und Lestat zurückgehen. Der „Louis“ ist dabei, wie das Original, meistens dunkelhaarig, eher philosophisch (bzw. oftmals fast schon depressiv) und hadert mit seinem Schicksal und seiner Menschlichkeit, während der „Lestat“ blond (oder allgemein hell) ist, sein Schicksal eher annimmt und Lebensfreude ausstrahlt. Das muss nicht einmal per se negativ (bzw. mörderisch) sein, aber derartige Duos finden sich verdammt oft. Um mal ein paar Beispiele zu nennen: Bill und Eric aus „True Blood“, Angel und Spike aus „Buffy“, Adam und Eve aus „Only Lovers Left Alive“, Eleanor und Clara aus „Byzantium“ – die Liste ließe sich sicher noch viel weiter fortführen.
Es zeigt sich also, dass das Vampirgenre, im Guten wie im Schlechten, ohne „Interview mit einem Vampir“ heute wohl anders aussähe. Anne Rice hat den Vampir als Protagonisten etabliert, und viele andere Kreativschaffende sind ihr gefolgt und haben das Potential dieses Konzepts ausgereizt, sowohl im positiven als auch im negativen Bereich.