Klassiker-Review
Story: Der gealterte Komponist Antonio Salieri (F. Murray Abraham) erzählt nach einem gescheiterten Selbstmordversuch einem Priester (Richard Frank) von seiner Rivalität mit einem anderen, ungleich berühmteren Komponisten: Wolfgang Amadeus Mozart (Tom Hulce). Bereits bei ihrer ersten Begegnung erkennt Salieri, dass Mozart, ein infantiler, alberner Schürzenjäger, die weitaus bessere Musik komponiert. Salieri glaubt, Gott wolle ihn durch Mozart strafen und erklärt seinem Rivalen insgeheim den Krieg. Während Mozart mit Schulden und dem Tod seines Vaters ringt, schmiedet Salieri einen bösartigen Plan, um letztendlich über Gott und Mozart zu triumphieren…
Kritik: Was lässt sich über „Amadeus“ nicht alles sagen? Miloš Formans Leinwandadaption von Peter Shaffers Theaterstück gilt in meinen Augen völlig zu Recht als Klassiker, und nebenbei ist er auch einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Obwohl er in letzter Zeit ein wenig ins Abseits geraten ist, fällt auch das allgemeine Urteil doch meistens positiv aus, allerdings mit einigen Ausnahmen, denn es gibt immer wieder Leute, die die mangelnde historische Genauigkeit des Films kritisieren. Historische Genauigkeit ist natürlich grundsätzlich so ein Thema. Wie weit sollten Filme dabei gehen? Im Grunde ändert sich das natürlich von Film zu Film. Als jemand, der Geschichte studiert hat, ist historische Genauigkeit schon etwas, das mir ein Stück weit im Blut liegt, andererseits sollte man das, gerade bei Filmen, die auf den Massengeschmack zugeschnitten sind, wohl eher nicht allzu genau sehen, besonders, da völlige historische Genauigkeit nie erreicht werden kann und es sich nun einmal um Unterhaltungsfilme und nicht um Dokumentationen handelt. Manchmal wäre es allerdings dennoch schön, wenn die Filmemacher ein wenig besser recherchieren oder tatsächlich versuchen würden, etwas mehr Geschichte mit einzubeziehen. Selbst bei historischen Fantasyfilmen kann das nützlich sein. Um ein relativ aktuelles Beispiel zu bemühen: In „Dracula Untold“ ist Mehmed II. ein flacher, uninteressanter und langweiliger Stereotyp von einem Schurken. Der echte Mehmed dagegen war eine hochinteressanter, widersprüchliche und facettenreiche Person – hier hätte mehr „Realität“ dem Film gut getan.
Aber, um nun zu „Amadeus“ zurückzukehren, hier stören mich Abänderungen nicht, im Gegenteil, sie sind nötig, weil sie Thema und Plot des Films nachhaltig beeinflussen. Ja, Salieri hat Mozart nicht umgebracht, die beiden waren zwar durchaus Rivalen, aber auch geschätzte Kollegen, und darüber hinaus war Salieri kein keuscher Fanatiker (tatsächlich war er verheiratet), aber das alles ist im Grunde irrelevant, denn es geht im Film nicht einmal so sehr um Mozart und Salieri – Shaffer und Forman erheben auch nicht den Anspruch, eine halbwegs korrekte filmische Biographie von einem der beiden Komponisten zu kreieren, was man schon allein daran sieht, dass die „Vorgeschichte“ der beiden, also alles, was vor ihrem ersten Treffen geschieht, nur sehr, sehr knapp angerissen wird. Denn eigentlich geht es um den Unterschied zwischen Handwerker und Genie und das Thema (göttliche) Begabung; es hat seinen Grund, warum der Titel des Films „Amadeus“ lautet. Und sieht man von den großen „Fehlern“ ab, zeigt sich an den Details, dass Shaffer und Forman durchaus ihre Hausaufgaben gemacht haben – so hat Mozart zum Beispiel tatsächlich bei der Uraufführung der „Zauberflöte“ Papagenos Glockenspielt gespielt.
Was letztendlich die Umsetzung der gewählten Thematik angeht, diese ist fast bis zur Perfektion gelungen, was nicht zuletzt dem grandiosen Cast zu verdanken ist, denn „Amadeus“ ist bis in die Nebenrollen ungemein gut besetzt, wobei Tom Hulce und F. Murray Abraham natürlich am meisten hervorstechen; der Oscar für Letzteren war mehr als gerechtfertigt. Beide schaffen es, dass man mit ihren jeweiligen Figuren, trotz einiger gewaltiger Fehler, sympathisieren kann. Als Zuschauer mag man nicht gutheißen, was Salieri letztendlich tut, doch kann man seine Gefühle, denke ich, nur allzu gut nachvollziehen. Fast jedem dürfte es schon einmal so gegangen sein wie ihm; man denkt, man kann etwas richtig gut, und dann kommt jemand daher und übertrifft einen spielend. Bei Mozart ist es ähnlich, zwar ist er ein rücksichtsloser Verschwender, vulgärer Schürzenjäger und Trinker, aber gleichzeitig hat er auch etwas Naives und Ehrliches an sich, so dass er einem Leid tut, wenn sich seine Situation zusehends verschlechtert.
Auch optisch ist „Amadeus“ eine Augenweide, von den herrlichen Kostümen bis hin zur Ausstattung und den grandiosen Aufnahmen von Prag, das hier Wien spielt. Tatsächlich ist Formans Meisterwerk in meinen Augen einer der zeitlosesten Filme, die ich kenne; natürlich spielt er Ende des 17. Jahrhunderts, aber es gibt Historienfilme, denen man die Zeit ihres Entstehens anmerkt. „Amadeus“ dagegen ist nicht einfach nur gut gealtert, sondern scheinbar überhaupt nicht, der Film funktioniert heute noch genauso gut wie in den 80ern.
Möglicherweise hängt das auch mit der Musik zusammen, denn das, was „Amadeus“ so brillant macht (und auch dafür sorgt, dass es nicht irgendwelche fiktiven, sondern genau diese beiden historischen Komponisten sein mussten), ist der Einsatz der Musik. Ich denke, es gibt kaum einen anderen Film, der bereits existierende Musik derartig gelungen einsetzt. Alle verwendeten Werke werden in einen Kontext gesetzt, der natürlich nicht historisch passend ist, aber perfekt zur Narrative des Films passt; tatsächlich ist Mozarts Musik im Grunde neben den beiden verfeindeten Komponisten die dritte Hauptfigur, und sorgt darüber hinaus auch für unvergesslich grandiose Szenen. Zu meinen Favoriten gehören, u.a., Mozart, der Salieris Willkommensmarsch zum Non più andrai, dem Paradestück aus „Le Nozze di Figaro“, umkomponiert, die Uraufführung des „Don Giovanni“, der Wechsel zwischen „Zauberflöte“ und Requiem und natürlich das Komponieren des Confutatis am Totenbett.
Fazit: „Amadeus“ ist nicht nur einer meiner absoluten Lieblingsfilme, sondern in meinen Augen auch einer der besten Filme überhaupt, denn hier stimmt einfach alles. Wer auch nur ein wenig für Mozarts Musik übrig hat, sollte „Amadeus“ unbedingt anschauen. Und alle anderen auch, denn wer weiß, vielleicht gelingt ja eine Bekehrung.
Diesen Film habe ich auch schon mehrfach gesehen. Ich gratuliere zu dieser wunderbaren Besprechung. LG, mick
Vielen Dank. Es ist auch ein Film zum immer wieder anschauen, weil man doch immer wieder neue Details entdeckt.
Ein immer wieder wunderbarer Film. Ich rate allerdings dazu, die Originalversion von 1984 und nicht den „Director`s Cut“ zu sehen, denn letzterer ist schlicht überflüssig. Der Synchronsprecher des Salieri aus dem Jahre 1984 in der deutschen Fassung war einfach wunderbar – da er leider gestorben ist, wurde im „Director`s Cut“ ein neuer Synchronsprecher gewählt, der absolut „nicht passt“. Also: Originalversion sehen – ob im Original oder in der deutschen Synchronisierung – beides besser als der „Director`s cut“.
Schaffners Theaterstück – die Vorlage des Films – fokussiert stärker auf Salieri, während der Film beide Protagonisten gleichermaßen würdigt.
Die Originalversion ist ohnehin am amüsantesten, schon allein wegen der Aussprache der diversen deutschen Begriffe. Ich finde es immer fast schon niedlich, wenn sie sich mit „Herr Mozart“ und „Herr Salieri“ ansprechen. 😀
Ah, da ist er, der Artikel zu „Amadeus“! 🙂 Du machst mir richtig Lust darauf, den Film mal wieder zu sehen! Mir fällt auch auf, dass ich ihn noch nie in der englischen OV gesehen habe, wäre ja tatsächlich mal ein Anlass… Noch dazu kenne ich heute ja weitaus mehr von Mozarts Werk und habe ja sogar das „Requiem“ schon selbst gesungen – sicher wirken da die entsprechenden Stellen nochmal anders.
Wat muss dat muss 😉
„Amadeus“ ist auch so ein Film, den man nicht oft genug anschauen kann. Sehr gelungen und amüsant ist übrigens auch dieses Making-of, wobei es sich vielleicht empfiehlt, erst noch einmal den Film und dann direkt hinterher die Doku anzuschauen. Ich lass den Link trotzdem mal hier: https://www.youtube.com/watch?v=uWeqBI-Xsj4
Nachdem du vor einiger Zeit schonmal ein Mozart-Video verlinkt hast, kam ich nicht umhin, mir nochmal den Director´s Cut anzusehen (ich kannte bis dato nur die Kinofassung). Hach… deiner Rezension kann ich nur wenig hinzufügen. Außer vielleicht, dass mir der Übergang schreiende Schwiegermutter –> Königin der Nacht mit am besten gefällt.
Stimmt, die Szene hätte auch noch in die Auflistung gehört. Was ich auch noch grandios finde: Die ersten Noten der Ouvertüre von „Don Giovanni“ (die im Finale wiederholt werden, kurz bevor der Comtur klopft) fungieren als Leitmotiv für Leopold Mozart bzw. den maskierten Salieri und unterbrechen immer wieder abrupt andere Musik. Genau solche kleinen Details machen den Film so grandios.