My Dear Frodo ist das erste Stück des Scores von „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ und untermalt den Prolog, der die Vorgeschichte der Trilogie erzählt – gleichzeitig ist My Dear Frodo aber auch noch weitaus mehr, und dies wird erst offensichtlich, wenn man die Musik der kompletten Trilogie vorliegen hat. My Dear Frodo ist gewissermaßen eine Ouvertüre im besten, wagnerianischen Sinn, denn in diesem Stück werden bereits die wichtigsten dominanten Themen der drei Hobbit-Filme vorbereitet.
Shore zögert nicht lange mit irgendwelchem einleitenden Geplänkel, das erste was zu hören ist, während die Studio-Logos erscheinen, ist ein Hybrid aus zwei Themen: Geschichte des Rings und Haus Durins. Ersteres ist bereits aus der HdR-Trilogie bekannt, Letzteres ist eines der neuen Zwergenthemen, dessen Bedeutung allerdings erst in „Smaugs Einöde“ klar wird und das diese Mischversion dominiert. Damit verknüpft Shore bereits zwei wichtige Handlungselemente des „Hobbit“, die Zwerge und ihr Erbe, um dies dreht es sich eigentlich, und den Einen Ring, der in dieser Geschichte noch eine untergeordnete Rolle spielt, aber in Hinblick auf das Schicksal Mittelerdes natürlich das zentrale Element ist.
Bei 0:37 folgt dann eine thematische Repräsentation des Titelhelden durch Bilbos Abenteuerthema, dicht gefolgt von den bekannten Klänge des Auenlandthemas, die, wie könnte es anders sein, den Schriftzug „The Hobbit“ (dies wiederholt sich in „Smaugs Einöde“, bleibt aber in „Die Schlacht der fünf Heere“ aus) und den eigentlichen Anfang des Films in Bilbos Arbeitszimmer unterlegen.
So richtig legt Shore los, als Bilbo mit der Niederschrift seiner Geschichte beginnt. Zwischen Film und Album gibt es ein, zwei Unterschiede, so findet sich im Film, als die Kamera über die Karte von Mittelerde wanderte, ein subtiler Hinweis auf das Gefährten-Thema, die typische Begleitung ist zu hören, dann kommt die erste Note, allerdings bricht es danach ab. Stattdessen wandert der Fokus nun zu den Zwergenthemen. Ab 1:57 ist zum ersten Mal das Erebor-Thema, bestehend aus drei aufsteigenden Notenpaaren, zu hören, dicht gefolgt von Thorins Thema, das eng mit dem Erebor-Thema verwandt ist (2:17) – währenddessen ist der Einsame Berg und Thrórs Zwergenreich in all seiner Pracht zu sehen. Diese beiden Zwergenthemen bilden, zusammen mit dem Haus-Durins-Thema, den leitmotivischen Kern der Hobbit-Trilogie.
Es folgen weitere wichtige neue Themen: Bei 3:03 erklingt zum ersten Mal das Motiv des Arkensteins, und auch Thranduils kurzes Cameo nutzt Shore, um das Waldlandreich-Thema, das in den beiden Folgefilmen sehr wichtig wird, einzuführen (3:23). Daraufhin verdüstert sich die Musik und tiefe Männerchöre, die bereits seit „Die Gefährten“ eng mit der Kultur der Zwerge verbunden sind, deuten das kommende Unheil bereits an.
Und dann kommt der Drache. Zwar ist Smaug selbst aus dramaturgischen Gründen hier noch nicht vollständig zu sehen, doch sein Thema begleitet den brutalen Angriff auf Thal (4:16). Smaugs Thema ist aus narrativer Sicht eines der interessantesten Themen der Hobbit-Trilogie. In der von Shore geschaffenen musikalischen Sprache Mittelerdes gibt es einen bösen Kern, bei diesem handelt es sich um den Halbtonschritt, mit dem sowohl das Geschichte-des-Ringes-Thema als auch Saurons Thema beginnen, und Smaugs Thema beginnt ebenfalls mit diesen beiden Noten, allerdings sind sie vertauscht. Was die Instrumentierung angeht, ist das Leitmotiv des Drachen hier noch recht konventionell im Mordor-Bereich. Ab dem letzten Drittel von „Smaugs Einöde“, wo Smaug dann auch tatsächlich vollständig zu sehen ist, bekommt das Thema durch die Verwendung der diversen ostasiatischen Instrumente (v.a. des Gamelan), eine zusätzliche Facette, die es von allen anderen Themen abhebt und die Einzigartigkeit des Drachen symbolisiert.
Die Zwerge geben sich allerdings noch nicht geschlagen, bei 5:34 erklingt noch einmal eine energische, aber verzweifelte Variation von Thorins Thema, die im Film selbst nicht auftaucht, aber wohl die erfolglosen Verteidigungsversuche untermalt hätte. Begleitet wird sie von tiefen Männerchören, über die Shore eine Verbindung zur Moria-Musik aus der HdR-Trilogie herstellt: In beiden Fällen wurde das Volk Durins von einer alten Monstrosität aus seiner Heimat vertrieben. Ab 6:06 erklingt noch einmal Smaugs Thema und kündet vom Sieg des Drachen. Das Stück endet schließlich mit zwei Einsätzen eines sekundären Motivs, das für Thorins Stolz steht.
Während in „Eine unerwartete Reise“ von den hier neu vorgestellten Themen lediglich Thorins eine größere Präsenz bekommt, sind die Themen von Smaug, Erebor und den Waldelben in „Smaugs Einöde“ und „Die Schlacht der fünf Heere“ dafür umso dominanter. My Dear Frodo ist ein Paradebeispiel dafür, wie minutiös Howard Shore die musikalischen Handlungsstränge vorausplant – dieses Ausmaß an Detailversessenheit findet sich in der modernen Filmmusik leider sehr selten.
Siehe auch:
A Very Respectable Hobbit
Axe or Sword?
The World Is Ahead
An Ancient Enemy