Marvel-Musik Teil 4: Spider-Man

Nun, da die zweite Spider-Man-Filmserie fast noch unrühmlicher endete als die erste, lohnt es sich, einen Blick zurück auf die Musik des Netzschwingers zu werfen, womit ich auch gleichzeitig meine Artikel-Reihe „Marvel-Musik“ beende – zumindest vorerst, denn viele weitere Marvel-Filme werden noch folgen, und deren Musik werde ich sicher in der einen oder anderen Form thematisieren.

 

Danny Elfman

Unglaublich, aber wahr, es gab eine Zeit, da galt nicht Hans Zimmer, sondern Danny Elfman als DER Superheldenkomponist. 1989 präsentierte er mit „Batman“ ein grandioses Meisterwerk, weshalb es nicht besonders abwegig erscheint, dass Sam Raimi und die Produzenten des ersten Spider-Man-Films von 2002 sich ebenfalls an Elfman wandten. Für den Wandkrabbler bediente sich Elfman allerdings nicht des reinen Batman-Sounds, der, vor allem in „Batman Returns“, etwas Epochal-opernhaftes hatte. Stattdessen kombinierte er Elemente dieses eher zeitlosen Stils mit moderneren Versatzstücken, wie er sie etwa in „Men in Black“ verwendete. So sind neben großem Orchester und Chor auch öfter moderne Percussions, E-Gitarre und elektronische Elemente zu hören.

Dennoch ist Elfmans „Spider-Man“ letztendlich ein klassischer Superhelden-Score, der von einem verdammt starken Thema für den Haupthelden dominiert wird. Zwar ist Raimis Spider-Man-Thema nicht ganz so ikonisch wie sein Leitmotiv für Batman, in meinen Augen ist es allerdings nach wie vor die beste musikalische Repräsentation des Wandkrabblers und ein vollauf gelungenes Superheldenthema, heroisch, energetisch, eingängig, aber auch, wenn nötig, verletzlich.

Elfmans Score für den Film ist bezüglich der weiteren Themen ziemlich konventionell, vor allem stechen ein Liebesthema und ein eher schwaches Schurkenthema für den Grünen Kobold hervor. Das Actionmaterial ist solide, aber nicht herausragend, und selbstverständlich ist auch Elfmans typische Verspieltheit immer wieder herauszuhören. Vor allem lebt „Spider-Man“ jedoch von seinem Thema.

Nach dem Erfolg des Films kehrten Raimi und Elfman für „Spider-Man 2“ natürlich zurück, wobei es bei diesem Film bereits Differenzen zwischen den beiden gab; während Elfman seine Themen stärker variieren und weiterentwickeln wollte, bestand Raimi auf eine größere Nähe zum Vorgänger, und zu allem Überfluss ersetzte er im Nachhinein einige Stücke von Elfman durch Kompositionen von Christopher Young. Am meisten fällt dies in der Szene auf, in der die Ärzte versuchen, Otto Ocatvius‘ künstliche Arme zu entfernen; die Musik im fertigen Film klingt verdammt nach „Hellbound: Hellraiser II“. Aufgrund dieser Differenzen kehrte Elfman auch nicht für „Spider-Man 3“ zurück, und es sollte bis 2013 dauern, bis er wieder mit Raimi an einem Film zusammenarbeitete.

Der Spider-Man-2-Score ist trotzdem definitiv nicht schlecht, das neue Thema für Dr. Octopus ist um einiges stärker als das Kobold-Thema, aber dennoch handelt es sich eher um mehr vom Selben als um wirkliche Neuerungen. Das Album ist hier der Filmversion der Musik eindeutig vorzuziehen, da es auch geschnittenes Elfman-Material mit mehr Variationen hat und das störende Hellraiser-Thema fehlt.

 

Christopher Young und andere

Aufgrund des Zerwürfnisses mit Raimi stand Elfman für „Spider-Man 3“ nicht mehr zur Verfügung, Raimi wollte die etablierten Themen und den musikalischen Stil allerdings nicht aufgeben (was grundsätzlich ziemlich löblich ist, immerhin passiert das in Filmreihen selten genug). Letztendlich beschloss er, Christopher Young zu verpflichten und ihn Elfmans Spider-Man-Thema weiterverwenden zu lassen. Wie bei vielen Aspekten von „Spider-Man 3“ mischte sich allerdings auch beim Score das Studio ein, sodass die Komponisten John Debney und Deborah Lurie ebenfalls noch zusätzliche Stücke einbrachten. Angesichts des leicht chaotischen Entstehungsprozesses ist die Musik des dritten Spider-Man-Films überraschend gelungen und kohärent. Young hätte sich Elfmans Thema zwar durchaus noch ein wenig mehr zu Eigen machen können, und bei manchen Einsätzen fehlt es auch ein wenig an Energie, aber wahrscheinlich geht zumindest Ersteres auch auf Studioentscheidungen zurück.

Während Stil und Themen fortgeführt werden, merkt man aber trotzdem, dass es sich hierbei um einen Christopher-Young-Score handelt, die verspielten Elfman-Elemente fehlen, und gerade das Action-Material ist oft ein wenig harscher als in den ersten beiden Spider-Man-Scores, besonders, was die Blechbläser angeht. Tatsächlich finde ich Youngs Actionmusik hier oft fast gelungener als die der ersten beiden Spidey-Filme.

Der Star dieses Scores ist eindeutig das Dark-Spider-Man-Thema, das zum Einsatz kommt, sobald sich der Symbiont auf Peter niedergelassen hat. Es basiert auf Fragmenten von Elfmans Thema, ist aber düsterer und gewalttätiger; gewisse Parallelen zu Youngs Horror-Musik lassen sich definitiv nicht leugnen.

Leider wurde Youngs Score aus irgendwelchen lizenzrechtlichen Gründen nie als Album veröffentlicht, aber immerhin kann die Musik auf Youtube angehört werden; das oben eingebettete Stück enthält, neben Youngs Adaption des Elfman-Themas am Anfang und am Ende, auch das Dark-Spider-Man-Thema und Sandmans Thema.

 

James Horner

Als angekündigt wurde, dass ausgerechnet James Horner Marc Webbs Spider-Man-Reboot vertonen würde, sorgte das auch unter Score-Fans für eine ziemliche Überraschung, immerhin begann Horner sich zu diesem Zeitpunkt bereits stärker aus der Filmmusikszene (speziell in Bezug auf Blockbuster) zurückzuziehen, und auch hatte er seit „The Rocketeer“ (1991) nichts mehr in diese Richtung komponiert. Man könnte hier vielleicht noch seine beiden grandiosen Zorro-Scores anführen, aber diese sind so sehr vom spanisch/lateinamerikanischen Stil geprägt, dass es nicht allzu viele Gemeinsamkeiten gibt.

Insgesamt macht Horner dabei überraschenderweise wenig Kompromisse: Zwar gibt es diverse moderne Elemente, Einsatz von Elektronik etc., aber das Ganze klingt nie, als versuche er den Sound Zimmer und Co. zu imitieren. Und obwohl es sich hierbei definitiv und unverkennbar um Musik von James Horner handelt, ist sie doch gleichzeitig ziemlich frisch, weil er auf diverse „Hornerismen“ (etwa das berühmt berüchtigte Gefahrenmotiv), die zum Beispiel dafür sorgten, dass „Avatar“ streckenweise nach einem Best-of-Album des Komponisten klang, dankenswerterweise verzichtet.

„The Amazing Spider-Man“ ist ein Superhelden-Score der alten Schule mit einem unverkennbaren, einprägsamen und heroischen Thema für den Titelhelden, dass Horner auf vielseitige Weise zu verwenden weiß. Das zweite wichtige Thema des Scores ist ein Liebesthema für Peter und Gwen, zumeist vom Klavier gespielt. Ohnehin ist das Klavier hier sehr dominant und dient vor allem dazu, Spider-Mans emotionale Seite darzustellen. Gerade in diesem Aspekt liegt auch die größte Stärke dieses Soundtracks; während ich Elfmans Spider-Man-Thema vorziehe, ist Horners emotionale Musik definitiv berührender. Aber auch was die Action angeht enttäuscht Horner nicht. Lediglich das Schurkenmaterial ist recht undefiniert und scheint nirgendwo hinzuführen. Diese Schwäche ist bei der Qualität von Horners Spider-Man-Musik, die sich vor den bisherigen Scores des Franchise definitiv nicht verstecken muss, leicht zu verzeihen.

 

Hans Zimmer and the Magnificent Six

Es ist nicht ganz eindeutig, ob die Entscheidung, James Horner zu ersetzen, von Sony ausging, oder ob sich Horner selbst dazu entschloss, „The Amazing Spider-Man 2“ nicht mehr zu vertonen – ich kann mir beides sehr gut vorstellen. Webb und Sony taten jedenfalls das, was ihnen, und vielen anderen auch, wohl am naheliegendsten erschien: Sie wandten sich an einen Komponisten, der mit Batman und Superman bereits Superhelden vertont hatte und dessen Sound darüber hinaus den Action- und Superheldenfilm seit einigen Jahren dominiert: Hans Zimmer, der damit der einzige Komponist sein dürfte, der Musik für die drei berühmtesten Superhelden geschrieben hat. Da mir Horners Musik sehr gut gefallen hat, während ich Zimmers Output der letzten Jahre ziemlich kritisch gegenüberstehe, war ich erst einmal enttäuscht, da ich eine weitere Ausarbeitung des Dark-Knight/Inception/Man-of-Steel-Sounds erwartete. Zumindest das ist „The Amazing Spider-Man 2“ schon einmal nicht. Aus vielerlei Gründen ist Zimmers Vertonung des Wandkrabblers sehr interessant, wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich seinen Ansatz gut finde und ob das Endprodukt für mich als Score funktioniert. Nun ja, besser als „Man of Steel“ ist es allemal.

In vielerlei Hinsicht vereint „The Amazing Spider-Man 2“ die Aspekte an Zimmers Schaffen der letzten Jahre, die mich stören: Es handelt sich um einen Gimmick-Score, Zimmer sieht sich selbst eher als Overproducer denn als Komponist, und der Soundtrack wurde gehypt ohne Ende, wie bei jedem größerem Film sagte Zimmer in Interviews, es handle sich um etwas völlig Neues, Revolutionäres und fürchterlich Kreatives. Immerhin, das Gimmick dieses Scores ist nachvollziehbarer als das Schlagzeugorchester von „Man of Steel“: Zimmer wollte, dass die Musik Elemente von dem enthielt, was ein Teenager wie Peter Parker tatsächlich hören würde, weshalb er kurzerhand die „Magnificent Six“ versammelte, bei denen es sich um Pharrell Williams, Johnny Marr, Tom Holkenborg, Mike Einzinger, Andrew Kawczynski und Steve Mazzaro handelt, die Songs beisteuerten, die wiederum die Grundlage des Scores bildeten. Dieser ist an sich schon eine sehr diverse Angelegenheit, weil hier viele Stilrichtungen zusammenkommen.

Am erfreulichsten ist zweifelsohne, dass gerade einige der nervigeren Eigenheiten der Remote-Control-Musik fehlen: Kein „Horn of Doom“ und keine übermäßige Verwendung von Streicherostinati und Drum-Loops. Zimmers Handschrift ist dennoch unverkennbar, die Motive und Melodien sind sehr einfach gestrickt, und es gibt viel, viel Elektronik. Interessanterweise verwirft Zimmer Horners Herangehensweise nicht völlig: Wie bei Horner wird die emotionale Seite der Geschichte (sofern nicht Songs zum Einsatz kommen), vorrangig durch Klavier und Holzbläser repräsentiert. Auch das Thema des Titelhelden erinnert an das des Vorgängers, eine eingängige Trompetenfanfare, die bei Horner allerdings weitaus organischer und weniger wie eine Nachrichtenfanfare klang.

Mit Abstand am hervorstechendsten ist allerdings das mehrstufige Thema das Schurken Electro. Als Max Dillon bekommt er eine beinahe lustige Holzbläsermelodie, die später um eine flüsternde Stimme (von Pharell Williams) erweitert wird, die wispert, was in Max‘ Kopf vorgeht. Sobald er seine Kräfte erhält, kommt  ein weiteres Element hinzu: Wummerndes, dröhnendes Dubstep. Im Gegensatz zu sonst ist eine derartige Kombination tatsächlich einmal etwas Neues und Gewagtes. Nun kann ich persönlich Dub-Step zwar nicht ausstehen, aber die Idee, die hinter diesem Thema steht, sollte dennoch gewürdigt werden.

Wie gesagt, auch nach fast einem Jahr kann ich immer noch nicht sagen, ob „The Amazing Spider-Man“ als Score funktioniert. Von einem kompositorischen Blickwinkel aus ist Horners Musik für den Wandkrabbler mit Sicherheit die bessere, der Score zu „The Amazing Spider-Man“ ist eine runde Sache, aber was Kreativität und Ideenreichtum angeht, gewinnt Zimmer.

 

Fazit und Ausblick

Die bisherigen fünf Leinwandausflüge des Wandkrabblers hatten alle solide bis ziemlich gute Musik. Die Elfman-Scores bilden zusammen mit Youngs „Spider-Man 3“ eine in sich halbwegs kohärente Trilogie, Horners Musik könnte in einigen Jahren zu einem Klassiker des Genres werden und Zimmers Beitrag zum Franchise ist zwar kompositorisch einige Level unter den vier Vorgängern, aber doch aufgrund seines experimentellen Charakters und der wilden Stilmischung zumindest sehr interessant.

Die zukünftige musikalische Repräsentation des Netzschwingers ist dagegen ziemlich unklar. Ursprünglich hätten auf TASM2 sowohl „The Amazing Spider-Man 3“ als auch ein Film über die Sinister Six folgen sollen, die gute Chancen gehabt hätten, ebenfalls von Hans Zimmer vertont zu werden, doch da TASM2 hinter den Erwartungen zurückblieb und Sony daraufhin einen Deal mit den Marvel Studios schloss, sind diese Pläne nicht mehr relevant. Der nächste Spider-Man-Film, dieses Mal Teil des Marvel Cinematic Universe, soll 2017 folgen, bislang stehen allerdings weder Regisseur noch Komponist fest.

Allerdings gibt es da noch zwei andere Filme, die zumindest Spekulationen erlauben. Zum einen wäre da „Captain America: Civil War“, in welchem der neue MCU-Spider-Man voraussichtlich seinen ersten Auftritt haben wird. Das dritte Soloabenteuer von Steve Rogers wird, wie schon „Captain America: The Winter Soldier“, von Joe und Anthony Russo inszeniert, was wohl bedeutet, dass Henry Jackman der nächste Komponist ist, der sich des Wandkrabblers annimmt. Angesichts dessen, was er für „The Winter Soldier“ abgeliefert hat, bin ich darüber allerdings nicht allzu glücklich.

Sehr viel interessanter ist eine Meldung, die vor einigen Wochen für einen kleinen Aufruhr in der Filmmusikszene gesorgt hat: Danny Elfman hat Musik zu „Avengers: Age of Ultorn“ beigesteuert. Mein erster Gedankengang bei dieser Meldung war wohl derselbe wie bei vielen anderen auch: Die Marvel Studios haben die Filmrechte an Spider-Man. Danny Elfman hat bereits für Spider-Man Musik geschrieben. Bedeutet das, es gibt einen von Danny Elfmans Thema unterlegten Cameo-Auftritt von Spider-Man? Zuerst war vor allem unklar, wie viel Musik Elfman tatsächlich beigesteuert hat, aktuellen Meldungen zufolge scheint das sogar eine ganze Menge gewesen zu sein.

Zwar ist es durchaus nicht unüblich, dass andere Komponisten noch zusätzliche Musik zu einem Film beisteuern, wenn dieser noch umgeschnitten wird und der ursprüngliche Komponist gerade anderweitig beschäftigt ist, allerdings sind das selten Komponisten von Elfmans Kaliber. Auch sind sein Stil und der von Brian Tyler doch ziemlich unterschiedlich. Was das Ganze bedeutet und ob es etwas mit Spider-Man zu tun hat, werden wir wohl erst erfahren, wenn „Age of Ultron“ in die Kinos kommt.