Hannibal Staffel 1

hannibal
Und wieder etwas, das schon lange überfällig ist. Warum ich mich der ersten Staffel von „Hannibal“ erst so spät zugewendet habe, ist mir zum Teil selbst ein Rätsel, immerhin bin ich ein Fan des Doktors, die von Anthony Hopkins verkörperte Version hat es immerhin auf Platz 3 meiner Lieblingsschurken geschafft. Da ich sämtliche Thomas-Harris-Romane mit dem kultivierten Kannibalen gelesen und auch sämtliche Filme gesehen habe, lohnt sich natürlich ein ausführlicher und vergleichender Blick darauf, wie die von Bryan Fuller geschaffene Serie sich des Materials annimmt. „Hannibal Rising“ werde ich dabei allerdings großzügig übergehen, ich denke, die Gründe dafür sind eindeutig.

Konzeption und Handlung
Im Grunde erzählt „Hannibal“ erst einmal die Vorgeschichte zu „Roter Drache“: In der ersten Episode wird der Profiler Will Graham (Hugh Dancy) von FBI-Ermittler Jack Crawford (Laurence Fishbourne) in einem Mordfall herangezogen, da Graham über die einzigartige Gabe verfügt, sich in den Kopf von Serienmördern hineinzuversetzen. Da dies Graham allerdings schwer zu schaffen macht, erhält der forensische Psychiater Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) den Auftrag, Will behilflich zu sein und vor allem dessen Geisteszustand zu überwachen. Gemeinsam schnappen sie noch in der ersten Episode ihren ersten Serienkiller, Garrett Jacob Hobbs (Vladimir Jon Cubrt), der auch im Roman „Roter Drache“ am Rande erwähnt wird. Hobbs wird von Graham erschossen und das Ganze könnte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit zweier außergewöhnlicher Ermittler sein, wäre da nicht die Tatsache, dass Hannibal Lecter ein Kannibale ist, der sein Umfeld mit größter Freude in grausame und potentiell tödliche Psychospiele verwickelt.
In der Tat erinnert „Hannibal“ vor allem zu Beginn stark an die düsterere Version einer Ermittlerserie wie die diversen CSI-Serien, die Folgen scheinen nach Schema F aufgebaut zu sein, pro Folge taucht ein neuer Serienkiller auf, der dingfest gemacht werden muss. Ganz so einfach ist es allerdings nicht, denn schnell wird klar, dass die Aufklärung des aktuellen Falls aboslut nicht im Zentrum steht, manchmal werden die Serienkiller geradezu sekundär. Es geht viel mehr um die Auswirkungen, die die Serienkiller auf Will haben, und natürlich um die komplizierte Beziehung zwischen Hannibal und Will. Trotz seines frühen Ablebens bleibt Garrett Jacob Hobbs etwa die ganze erste Staffel durch ein wichtiger Faktor, nicht zuletzt wegen seiner Tochter Abigail (Kacey Rohl), die von Will vor ihrem Vater gerettet wird. Somit offenbart sich im Verlauf der ersten Staffel, dass es sich bei „Hannibal“ eher um eine Charakterstudie als „nur“ um eine Krimiserie handelt.
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Jack Crawford (Laurence Fishburne)

Laut Bryan Fuller waren ursprünglich sieben Staffeln für die Serie geplant: Die ersten drei sollten die Vorgeschichte erzählen, die vierte sollte „Roter Drache“ adaptieren, die fünfte „Das Schweigen der Lämmer“, die sechste „Hannibal“ und die siebte sollte das Ganze mit neuem Material abschließen. Inzwischen sind jedoch sechs Staffeln anvisiert, die die Romane anders als bisher geplant adaptieren. Gewisse Freiheiten werden sich dabei gar nicht vermeiden lassen, schon allein deshalb, weil die Serie nicht in den 70ern und 80ern, sondern in den 2010ern spielt und die Handlung dementsprechend angepasst wurde. Neue Figuren sind hinzugekommen und andere wurden stark verändert. Aus Dr. Alan Bloom, einem ziemlich unwichtigen Nebencharakter, wurde beispielsweise Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas), die nun eine wichtige Hauptrolle spielt. Ebenso wurde der Klatschreporter Freddie Lounds einer Geschlechtsumwandlung unterzogen (in der Serie dargestellt von Lara Jean Chorostecki) und mutierte vom Journalisten einer Boulevardzeitung zur Bloggerin, die eine True-Crime-Website betreibt.
Ich bin auf jeden Fall gespannt, in welcher Form der Inhalt der Bücher letztendlich in die Serie einfließt.

Die Umsetzung
Schon die drei Hannibal-Lecter-Filme mit Anthony Hopkins sind stilistisch und atmosphärisch sehr unterschiedlich. Wenn wir „Manhunter“, die erste Verfilmung von „Roter Drache“ aus dem Jahr 1986 noch miteinbeziehen, haben wir eine ziemlich große Bandbreite verschiedener Stile. Michael Manns „Manhunter“ ist sehr eindeutig ein Film der 80er, er wird dominiert von pseudofuturistischer Architektur, kahlen weißen Wänden, ausgedehnten Stränden und einer sehr interessanten Farbgebung.
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Alana Bloom (Caroline Dhavernas)

Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ dagegen wirkt geerdeter, dreckiger und hat einen eindeutig gotischen Einschlag. Für „Hannibal“ wollte Ridley Scott eine barocke Blutorgie inszenieren, und egal ob man nun der Meinung ist, dass ihm dies gelungen ist, die Bilder des Films, vor allem die Aufnahmen von Florenz, sind zweifelsohne beeindruckend. „Hannibal“ fühlt sich eindeutig größer an als das eher beengte „Schweigen der Lämmer“. Mit „Roter Dracher“ unternahm Brett Ratner schließlich den Versuch, Elemente aller drei Herangehensweisen in seinen Film zu integrieren, was ihm in meinen Augen erstaunlich gut gelungen ist (von der Hannibal-Lecter-Filmen ist „Roter Drache“ ohnehin mein Favorit, was auch daran liegt, dass Francis Dolarhyde von Ralph Fiennes gespielt wird). Der Anfang des Films erinnert ein wenig an „Hannibal“, während Ratner im restlichen Film versucht, die gotisch-dreckige Atmosphäre von „Das Schweigen der Lämmer“ zu rekonstruieren und zu erweitern. Da er allerdings Dante Spinotti, der bereits bei „Manhunter“ als Kameramann fungierte, anheuerte, finden sich einige visuelle Anspielungen an die erste Verfilmung von „Roter Drache“.
Kommen wir nun zur Serie (die im kommenden Absatz gemeint ist, wenn ich „Hannibal“ schreibe): Gewisse Gemeinsamkeiten zu „Das Schweigen der Lämmer“ und „Roter Drache“ lassen sich nicht leugnen, auch „Hannibal“ bemüht sich um eine sehr düstere Atmosphäre mit Gothic-Elementen, geht dabei aber noch sehr viel weiter als die Filme. Laut Fuller war eine der Grundideen der Serie die Frage, was jemand wie David Lynch wohl mit Hannibal Lecter angestellt hätte. Dementsprechend strotz die Serie nur so vor surrealen, alptraumhaften Visionen. Während die Filme die Wahnsinnigen und die Auswirkungen ihres Wahnsinns zeigten, bemüht sich „Hannibal“, den Wahnsinn selbst darzustellen. Wir sehen nicht, was die Serienkiller tun, wir sehen durch ihre Augen, während sie es tun, wir erfahren genau, wie sie die Welt wahrnehmen, was „Hannibal“ sowohl inhaltlich als auch optisch enorm aufwertet und einen großen Teil der Faszination der Serie ausmacht. Obwohl die Morde an sich schon alles andere als harmlos sind, entfaltet sich der volle Schrecken erst durch diese zusätzliche, wohl durchdachte und grandios gestaltete psychologisch-visuelle Ebene.
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Freddie Lounds (Lara Jean Chorostecki)

Der Rest kommt von den meisterhaft gezeichneten Charakteren und den beeindruckenden Darstellern. Den beiden Hauptakteuren der Serie werde ich mich separat widmen, da es über sie viel zu schreiben gibt. Generell macht aber jeder der Schauspieler seine Sache ausgezeichnet. Laurence Fishburns Jack Crawford ist im Grunde die Rolle, die er ständig spielt, aber Fishburn eignet sich einfach wirklich gut für diese Art von Figur. Ebenso weiß Caroline Dhavernas als Alana Bloom zu überzeugen, und auch die Nebenrollen sind durchweg gelungen besetzt. Lediglich die von Lara Jean Chorostecki dargestellte Freddie Lounds bleibt ziemlich blass, wofür die Schauspielerin allerdings nichts kann.
Ebenfalls sehr gelungen sind die zahlreichen Anspielungen an Thomas Harris‘ Romane und die bisherigen Filme in Form von Zitaten, Kameraeinstellungen, neuen Figuren (Stichwort Dr. Abel Gideon; Eddie Izzards Darstellung erinnert stark an Anthony Hopkins‘ Hannibal Lecter; im Grunde ist die Figur eine wandelnde Anspielung) und Sets – hier wird nichts dem Zufall überlassen. „Hannibal“ spielt hier gekonnt mit den Erwartungen des Publikums, das letztendlich weiß, wie das Ganze enden muss – und dreht sie dann im Finale der ersten Staffel gekonnt um.

Will Graham
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Die Serie mag zwar „Hannibal“ heißen, aber der eigentliche positive Protagonist ist Will Graham. Hugh Dancy ist bereits der dritte, der diese Rolle spielt, und auch hier gilt: In „Manhunter“ und „Roter Drache“ war die Figur, trotz gewisser Gemeinsamkeiten, sehr unterschiedlich konzipiert. Das Besondere an Will Graham ist, dass er sich in den Verstand von Serienmördern hineinversetzen kann. Diese Grundprämisse wird von den beiden Filmen und der Serie allerdings sehr unterschiedlich umgesetzt.
„Roter Drache“ ist hier am konservativsten, Edward Nortons Will Graham hat zwar die spezielle Gabe, die die Figur ausmacht und ist durchaus auch traumatisiert, aber davon abgesehen wirkt er wie ein ziemlich ausgeglichener und normaler Genosse. William Petersons Version der Figur scheint da schon weit weniger ausgeglichen, sein Graham leidet stärker unter seiner Gabe und ist dadurch getriebener, man bekommt den Eindruck, dass mit ihm nicht alles in Ordnung ist. Im Vergleich zu Hugh Dancys Darstellung ist allerdings auch Petersons Graham noch recht normal. Serien-Will weist eindeutig autistische Züge auf und hat sichtlich mit seinen Fähigkeiten und seiner ungewöhnlichen Wahrnehmung zu kämpfen. Über den Verlauf der ersten Staffel hat er (auch dank Hannibal Lecters Einmischung) immer mehr Probleme, zwischen Realität und Alptraum zu unterscheiden. Hugh Dancy stellt alle Aspekte seiner Figur hervorragend dar und ist in meinen Augen der beste, weil interessanteste Will Graham.

Hannibal Lecter
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Hannibal Lecter gehört fraglos zu den ikonischsten Schurken der Filmgeschichte. Auch hier lassen sich drei sehr verschiedene Darstellungen miteinander vergleichen. Brian Cox hatte in „Manhunter“ freilich nicht allzu viel Gelegenheit, seinen Hannibal Lecktor (man achte auf die falsche Schreibweise) zur vollen Entfaltung zu bringen, da er nur drei Szenen hat (es wird nicht einmal erwähnt, dass er Kannibale ist): Das Gespräch mit Will Graham, das anschließende Herausfinden von Grahams Privatadresse und schließlich noch ein kurzes Telefonat mit Graham zum Schluss des Films. Cox‘ Version der Figur ist vor allem eine schnellsprechende Nervensäge, der es trotzdem gelingt, auf diese Weise in den Kopf seines Gegenübers einzudringen.
Anthony Hopkins ist natürlich der Schauspieler, der primär mit Hannibal Lecter in Verbindung gebracht wird, und seine Herangehensweise an die Figur unterscheidet sich stark von Cox‘ Performance. Für diese Version des Charakters ist seine Zelle quasi eine Bühne, er genießt die Konversation mit den ihm geistig unterlegenen in vollen Zügen – und er genießt es, sie wissen zu lassen, dass er mehr auf dem Kasten hat als sie. Hopkins‘ Hannibal Lecter ist äußerst theatralisch und reizt die gegensätzlichen Seiten seiner Figur voll aus, sei es der Kulturmensch oder das gnadenlose Monster. Dies könnte auch damit zusammenhängen, dass Hopkins-Hannibal sich nur selten verstellen muss, vor allem in „Roter Drache“ und „Das Schweigen der Lämmer“ weiß jeder, mit dem er spricht, dass er ein Massenmörder und Kannibale ist; warum als sich verstellen, statt mit den Leuten zu spielen und sie zu irritieren?
Dieser Aspekt spielt auch bei Mads Mikkelsens Darstellung des Doktors eine wichtige Rolle, da Lecter in „Hannibal“ an einem anderen Punkt in seinem Leben steht: Er ist gezwungen, sich zu verstellen und muss den Anschein erwecken, dem FBI und Will Graham zu helfen, während er sie manipuliert und mit ihnen spielt. Mikkelsens Hannibal ist weitaus subtiler und zurückhaltender als Hopkins‘, weniger offen monströs und auch weniger offen überlegen. Mikkelsen wirkt in der Rolle kühler und beherrschter, wobei ich sehr gespannt darauf bin, wie die Figur sich wohl entwickelt, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befindet wie Hopkins-Lecter.
Letztendlich finde ich alle drei Versionen der Figur äußerst gelungen, alle drei Schauspieler liefern tadellose Arbeit ab. Cox schafft es trotz seiner kurzen Auftritte, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, Hopkins hat die Figur unsterblich gemacht und Mikkelsen schafft es vorzüglich, den Zuschauer einzunehmen. Besonders gelungen ist in meinen Augen, dass es ihm gelingt, den Zuschauer mitunter vergessen zu lassen, dass er hier Hannibal Lecter zusieht, sodass sogar des Öfteren Sympathie entsteht – das liest man zumindest ziemlich häufig. Da ich ohnehin fast immer für die Bösen bin, ist das für mich völlig normal.

Die Musik
Wenn ich die größte Schwäche der Serie nennen müsste, wäre das in meinen Augen wohl die Musik, auch wenn das stark mit meinem persönlichen Geschmack zusammenhängt. Komponist der Serie ist Brian Reitzell, der sich für eine sehr minimalistische Herangehensweise entschieden hat – nur leider mag ich minimalistische Ambience-Scores überhaupt nicht. An manchen Stellen erinnert die Musik ein wenig an den Soundtrack von „Verblendung“, auch wenn Reitzell immer noch ein weitaus besseres dramatisches Gespür hat als das Duo Reznor/Ross.
Unterziehen wir noch kurz die anderen Adaptionen der Harris-Romane einer kurzen, musikalischen Betrachtung. Alle vier Filme haben stilistisch sehr unterschiedliche Soundtracks. Die Musik von „Manhunter“, komponiert von Michel Rubini und The Reds, klingt sehr nach den 80ern und wirkt leider hoffnungslos veraltet. Für „Das Schweigen der Lämmer“ komponierte Howard Shore einen sehr zurückhaltenden, aber nichts desto trotz gut funktionierenden Suspense-Score, der als vom Film getrenntes Hörerlebnis allerdings eher dröge ist. Sowohl Hans Zimmers „Hannibal“ als auch Danny Elfmans „Roter Drache“ konkurrieren für mich um den Titel „Bester Hannibal-Lecter-Soundtrack“. Für Ridley Scotts Film komponierte Zimmer etwas, das zur grandios-barocken Atmosphäre des Films passt und sowohl die Düsternis (durch elektronische Manipulation und schrille Töne) als auch Hannibals kulturelle Seite (durch das Einflechten klassischer Stücke und Stilanleihen bei Johann Sebastian Bach) hervorragende repräsentiert. Der musikalische Höhepunkt des Franchise ist in Form der von Patrick Cassidy komponierten Arie Vide Cor Meum ebenfalls in Scotts „Hannibal“ zu finden.
Elfman schließlich komponierte einen klassischen, recht brutalen Horror-Score im Stile Bernhard Herrmans, dessen dominante Motive allerdings in erster Linie Francis Dolarhyde und nicht Hannibal Lecter repräsentieren.
Um nun wieder zu Reitzells Musik zurückzukehren: Im Grunde versucht die Serie, musikalisch eine ähnliche Dualität zu etablieren, wie Hans Zimmer es tut, nur ist der Erfolg in meinen Augen weitaus geringer. Die klassischen Stücke, die etwa eingespielt werden, wenn Hannibal gerade kocht, funktionieren gut, aber, aber zwischen diesen und Reitzells‘ Suspense-Musik gibt es so gut wie keine Verbindung. Mehr noch, besagte Suspense-Musik besteht vor allem aus repetitiven Klangfiguren und viel Sounddesign. Wie gesagt, das hängt vor allem mit meiner persönliche Vorliebe zusammen, aber ich hätte mir eine (orchestrale) Mischung der Herangehensweisen von Hans Zimmer und Danny Elfman gewünscht, vielleicht von einem Komponisten wie Roque Baños. Allerdings finde ich es toll, dass in der ohnehin schon genialen Finalszene der ersten Staffel das Vide Cor Meum erklingt.

Fazit
„Hannibal“ ist nicht nur eine gelungene Neuinterpretation des hochgebildeten Kannibalen und der anderen Charaktere von Thomas Harris, sondern auch eine eindringliche, enorm spannende und rundum gelungene Thriller/Horror-Serie, die ihresgleichen sucht. Vollste Empfehlung für alle Fans von Hannibal Lecter und all jene, die gute Serienkost schätzen und keinen schwachen Magen haben.