Schon die Star-Wars-Filme sind ein Sammelbecken verschiedener Genres, und auf das Erweiterte Universum trifft das noch in größerem Maße zu, da die Roman- und Comicautoren freier sind und in ihren Werken Dinge tun können, die in den Filmen schon aufgrund der Publikumserwartungen nicht möglich sind. So gibt es u.a. Kriegsdarstellung aus Soldatensicht („Republic Commando“), Politthriller („Schleier der Täuschung“, „Darth Plagueis“) oder Horror („Der Todeskreuzer“).
Ein Genre, das in Star Wars ebenfalls immer unterschwellig zugegen war, das aber nie so sehr an die Oberfläche drang, ist der Western. Mit John Jackson Millers Roman „Kenobi“ hat sich das geändert. Miller ist natürlich vor allem für die geniale Comicserie „Knights of the Old Republic“ bekannt, hat aber auch schon einen Roman und eine Novellensammlung im Star-Wars-Universum verfasst: Leider bin ich mit seinen Lost-Tribe-of-the-Sith-Geschichten irgendwie nicht so recht warm geworden, und auch sein Roman „Knight Errant“ (ein Begleitwerk zu seiner zweiten, gleichnamigen Star-Wars-Comicserie) wird erst aber der Hälfte wirklich interessant. Alles, was Miller bisher verfasst hat, spielt sich also in der fernen Vergangenheit der Star-Wars-Galaxis ab. „Kenobi“ ist sein erster Roman, der in der Zeit der Filme spielt, und interessanterweise auch sein bester.
Für Star-Wars-Verhätnisse ist „Kenobi“ ein ziemlich „kleiner“ Roman: Es gibt keine galaxisweiten Intrigen, keine Schlachten, keine exotischen Schauplätze und schon gar keine irgendwie gearteten Superwaffen. Der Roman deckt einen relativ kurzen Zeitraum ab und spielt nur auf einem Planeten: Tatooine. Wie beim Titel nicht anders zu erwarten steht Obi-Wan Kenobi im Mittelpunkt; Miller erzählt, wie aus dem Kriegshelden Obi-Wan Kenobi der wunderliche Einsiedler Ben Kenobi wird. Die Herangehensweise ist dabei äußerst originell, denn Miller nimmt dabei fast ausschließlich die Perspektive von diversen Einwohnern von Tatooine ein und zeigt so, wie Kenobi auf diese wirkt. Hierzu gehören unter anderem die Ladenbesitzerin Annileen, der Feuchtfarmer Orrin und die Tusken A’Yark.
Die einzige Ausnahme sind Meditationen, die sich am Ende einiger Kapitel finden – in diesen Textstellen hält Obi-Wan ein einseitiges Zwiegespräch mit Qui-Gons Geist (der nicht antwortet, das tut er erst am Ende von James Lucenos „Dunkler Lord: Der Aufstieg des Darth Vader“, welcher wohl kurz nach „Kenobi“ spielt), durch das der Leser erfährt, was in Obi-Wans Kopf vorgeht.
Interessanterweise gibt es keine äußere Bedrohung, die Luke Skywalker ans Leder will. Im Vorfeld wurden Spekulationen geäußert, der Roman könne die Begegnung Kenobis mit A’Sharad Hett (wie in den Leagcy-Comics dargestellt) schildern oder die Infinities-Kurzgeschichte „Old Wounds“, in welcher Obi-Wan einmal mehr gegen Darth Maul kämpft (dieser Comic erschien, wohlgemerkt, lange vor „The Clone Wars“) zum Kanon hinzufügen. In der Tat kommt weder Klein-Luke noch die Lars-Familie vor, der Konflikt entsteht wegen der Differenzen zwischen den oben genannten POV-Figuren, in die sich Obi-Wan eher unfreiwillig einmischt und entdeckt, dass er sich zwar zurückziehen kann, es ihm aber nicht möglich ist, das Jedi-Dasein völlig abzulegen.
Handlungskonstruktion und Figurenkonstellation entstammen dabei ohne jeden Zweifel dem Western. Mit Tatooine ist der klassische Wüstenschauplatz gegeben, die Tusken nehmen die Rolle der missverstandenen und unterschätzen Indianer ein, die Feuchtfarmer sind, nun ja, die Farmer, die sich selbst verteidigen wollen und dabei zu weit gehen und Kenobi ist der mysteriöse Einzelgänger. Das Ganze funktioniert erstaunlich gut, und in einem Erweiterten Star-Wars-Universum, in welchem die fünfzigste Inkarnation der Sith langsam nervt (und ich sage das als Fan der Dunklen Lords) sind Romane wie „Kenobi“ ein erfrischender neuer Ansatz: Eine kleine, persönliche Geschichte, die trotz oder gerade wegen des Mangels an intergalaktischem Konflikt den Leser in ihren Bann zu ziehen weiß. Die Figuren sind, bis auf den Titelhelden, weit davon entfernt, überlebensgroße Figuren oder klassische Helden und Schurken zu sein. Stattdessen sind sie sehr differenziert gezeichnet; der eigentliche Schurke ist ein ehemals guter Mann, der vom Weg abgekommen ist und sich dabei immer weiter im Unheil verstrickt. Gerade hier ist auch der Ansatzpunkt zu Kenobi, der sich durch viele Ereignisse im Kleinen an das erinnert, was er zuvor auf großer Ebene erlebt hat. Hier profitiert der Leser davon, dass er sehr viel mehr weiß als die Figuren. Wenn Annileen etwa rätselt, weshalb Kenobi auf ihren Spitznamen „Annie“ sehr empfindlich reagiert, kennen wir den Grund sehr genau. Miller setzt derartige Andeutungen so gekonnt ein, dass die Meditationen manchmal fast überflüssig erscheinen.
Sehr erfreulich für Kontinuitätsfans wie mich ist darüber hinaus, dass Miller alles in Kontext mit dem restlichen EU setzt und so zum Beispiel Sharad Hett, der Tusken-Jedi, auch mehrere Jahre nach seinem Tod noch eine bedeutende Rolle spielt. Und er kann es nicht lassen, auf seine eigenen Comicserien „Knights of the Old Republic“ und „Knight Errant“ anzuspielen.
Fazit: Gelungener Star-Wars-Roman der etwas anderen Art von John Jackson Miller mit erfrischenden neuen Ansätzen – ein Western in der weit, weit entfernten Galaxis. Wie „Darth Plagueis“ oder „Shatterpoint“ beweist „Kenobi“, dass Star Wars auch sehr gut jenseits der ausgetretenen Pfade und überstrapazierten Handlungskonstrukte funktioniert.
Siehe auch:
Knights of the Old Republic Band I: Verrat
Shatterpoint
Darth Plagueis