Der Heckenritter

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Interessanterweise waren weder „Game of Thrones“, noch die Romanreihe, auf der die Fernsehserie basiert, für meine erste Begegnung mit der von George R. R. Martin geschaffenen Welt von Eis und Feuer verantwortlich. Mehrere Jahre, bevor der Siegeszug von „Game of Thrones“ begann, lieh mir ein Freund das Sujet dieses Reviews aus – die Comicadaption von Martins Novelle „Der Heckenritter“. Diese spielt etwa 90 Jahre vor dem Beginn des Krieges der fünf Könige, also zu einer Zeit, in der die Targaryen-Dynastie noch über Westeros herrscht, die letzten Drachen aber bereits ausgestorben sind. Damals hatte ich freilich keine Ahnung von allem, was hinter dieser Comicadaption steckt. Den Zusammenhang habe ich erst hergestellt, nachdem ich die erste Staffel der Serie gesehen und die ersten beiden Romane gelesen hatte.
Für die Adaption der Novelle sind Ben Avery (Autor) und Mike S. Miller (Zeichner) verantwortlich. Nachdem sowohl die deutsche als auch die englische Ausgabe lange vergriffen waren, sorgte der Erfolg von „Game of Thrones“ erfreulicherweise dafür, dass Panini den „Heckenritter“ neu auflegte, allerdings leider mit einer überarbeiteten, an die aktuelle Auflage der Romane angelehnten Übersetzung – wer sich für die deutsche Version entscheidet, wird also mit „Königsmund“ und „Lennister“ leben müssen.
Das auffälligste Merkmal des „Heckenritters“ ist nicht nur der Umstand, dass es, gerade im Vergleich zu „Das Lied von Eis und Feuer“, eine recht kleine Geschichte ist (keine gewaltigen Schlachten, Bürgerkriege oder ähnliches), sondern dass praktisch gar keine fantastischen Elemente vorhanden sind. Der Fokus liegt eindeutig auf den Figuren, allen voran natürlich Dunk, oder, wie er sich selbst nennt, Ser Duncan der Große. Zu Beginn der Handlung ist Dunk noch der Knappe des Heckenritters (ein Heckenritter ist ein Ritter, der nicht einem bestimmten Lord dient, sondern umherzieht und sich zeitweise in die Dienste des Meistbietenden stellt) Ser Arlan, der allerdings stirbt. Dunk beschließt daraufhin, sich der Überbleibsel seines Lehrers anzunehmen, selbst zum Heckenritter zu werden und am Turnier von Ashford (Aschenfurt) teilzunehmen. Begleitet wird er von dem vorlauten, kahlköpfigen Jungen Egg, der sich als Dunks Knappe verdingt. Während des Turniers gerät Dunk außerhalb des Tjosts mit Aerion Targaryen, einem Mitglied der Königsfamilie, aneinander. Aerion verlangt zu Sühnung des ihm vermeintlich angetanen Unrechts ein Gottesurteil, das jede von Dunks Fähigkeiten auf aufs äußerste testet.
Im „Heckenritter“ steht, wie an der Inhaltsangabe unschwer zu bemerken ist, ein Element im Vordergrund, das in „A Game of Thrones“ noch recht prominent vertreten war, in den folgenden Bänden aber stark an Wichtigkeit verloren hat: Das Turnier. Der Leser erlebt Westeros hier in Friedenszeiten, in denen sich der Adel der gepflegten ritterlichen Auseinandersetzung hingibt. Das sorgt dafür, dass das Ganze um einiges leichter und unbeschwerter daherkommt als Martins „Hauptwerk“. Da ich Martins Novelle leider (noch) nicht gelesen habe, kann ich zum Adaptionsprozess relativ wenig sagen, der Comic wirkt allerdings so, wie er ist, rund und gelungen, es gibt keine Handlungslücken und alles ist gut verständlich, insofern hat Ben Avery seine Aufgabe wohl gut bewältigt.
Neben dem Fantastischen gibt es noch einige andere Elemente, die der geneigte Leser der Romane hier kaum oder gar nicht findet: Sex und Blut. Allerdings war „Das Lied von Eis und Feuer“ schon immer sehr viel mehr als nur die Summe der Exploitationszenen, und „Der Heckenritter“ ist der Beweis, dass eine Geschichte aus Westeros auch wunderbar ohne diese beiden Elemente funktionieren kann, denn die Geschichte von Dunk, der um Gerechtigkeit und ritterliche Werte kämpft, weiß auch so für sich einzunehmen. Dunk ist als Protagonist sympathisch und stammt, im Gegensatz zu den meisten Lied-Figuren, nicht aus der Oberschicht.
Auch die andere Figuren sind gut gelungen, allen voran die Targaryen, die sich schon hier in gute, vernünftige Menschen und halbirre Vollidioten á la Viserys und Aerys teilen. Auch sonst wird der geneigte Leser viele Anspielungen finden, so erinnert Ser Lyonel Baratheon durchaus an einen jungen Robert und man erfährt, weshalb es zwei Fossoway-Linien gibt.
Mike S. Millers Zeichnungen sind ebenfalls sehr gelungen und tragen viel zur Atmosphäre bei. Besonders gelungen sind Millers Gesichter – bei vielen Comiczeichnern sehen Gesichter oftmals fast gleich aus, Miller jedoch achtet sehr auf Details, sodass das bei ihm kein Thema ist. Sein Design orientiert sich freilich nicht an dem von „Game of Thrones“, da die Comicadaption einige Jahre älter ist als die Serie, es ist aber ohne Frage ebenso gelungen und zeigt quasi eine alternative Version der Welt von Eis und Feuer.
Fazit: Gelungene Comicadaption einer gelungenen Geschichte aus Westeros, die allerdings weit weniger groß und episch als „Das Lied von Eis und Feuer“.