Bei „Der Rote Baron“ handelt es sich um die direkte Fortsetzung zu „Anno Dracula“. Dieses Mal befinden wir uns im Jahre 1918, mitten im Ersten Weltkrieg. Mehr denn je sind Vampire Teil des öffentlichen Lebens und kämpfen sowohl auf der Seite der Alliierten als auch der Deutschen. Lord Ruthven etwa ist immer noch Premierminister von Großbritannien und inzwischen vom Verbündeten Draculas zu seinem Gegner geworden. Eben dieser nennt sich nun Graf von Dracula und hat sich mit dem deutschen Kaiserreich verbündet, seiner karpatischen Garde (zu der immer noch unter anderem Graf Orlok aus Murnaus „Nosferatu“ gehört) in der deutschen Armee hohe Ränge verliehen und den Kaiser sowie Hindenburg, Ludendorff und andere wichtige Befehlshaber zu Vampiren gemacht. Die eigentlichen Gründe für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bleiben zwar dieselben (Deutschland wünscht einen Platz an der Sonne, bzw. einen Platz am Mond), aber die Tatsache, dass auf beiden Seite Vampire involviert sind, gibt dem ganzen zusätzliche Würze. Die eigentliche Handlung setzt, wie bereits erwähnt, 1918 ein und der Krieg tobt bereits ein ganzes Weilchen.
Eine besonders mächtige Waffe in Draculas Hand ist Manfred von Richthofen, der so genannte Rote Baron und seine Fliegerstaffel. Allerdings besteht diese, im Gegensatz zu unserer Welt, nicht etwa aus Flugzeugen, sondern aus in Fledermaushybriden á la Markus in „Underworld Evolution“ verwandelten Vampiren.
Der eigentliche Grundplot des Romans ist dem von „Anno Dracula“ recht ähnlich: Ein weiteres Mal wird, wie schon bei Jack the Ripper, ein Ermittlerpärchen vom Diogenes-Club ausgesandt, das aus einem männlichen Menschen und einem weiblichen Vampir besteht. Dieses Mal sind es allerdings nicht Geneviève Dieudonné (die in Amerika weilt und in „Der Rote Baron“ lediglich erwähnt wird) und Charles Beauregard (der im Diogenes-Club aufgestiegen ist und nun die Rolle eines Fadenziehers und Befehlshabers innehat), sondern Kate Reed und Edwin Winthrop. Während Kate Reed, die im Vorgänger bereits als Nebenfigur zugegen war, eine recht interessante Figur ist, finde ich persönlich Winthrop, der wohl am ehesten als Held der Geschichte verstanden werden kann, weniger interessant.
Die Ähnlichkeit der Grundhandlung zu „Anno Dracula“ wirkt sich jedoch glücklicherweise nicht auf das Drumherum aus, sodass „Der Rote Baron“ sich atmosphärisch und auch inhaltlich vom ersten Band der Trilogie abhebt. Statt der viktorianischen Atmosphäre steht nun die Stimmung des Ersten Weltkriegs im Mittelpunkt, und neben tatsächlich existierenden Personen wie dem Roten Baron, Hermann Göring oder dem Mörder Fritz Haarmann (der hier eine amüsante Nebenrolle bekommen hat) tauchen auch Figuren aus dem deutschen Stummfilm auf, etwa Dr. Caligari, Dr. Mabuse und natürlich Orlok, der lustigerweise sogar im Roman ziemlich stumm ist.
Newmans Intertextualität und seine extrem vielen gelungenen Anspielungen auf Film und Literatur sind ein weiteres Mal ein wahrer Genuss. Besondere Erwähnung verdient noch der Subplot um die beiden Schriftsteller Edgar (Allan) Poe (sollte bekannt sein) und Hans Heinz Ewers (wohl eher weniger bekannt, hat unter anderem die Kurzgeschichte „Die Spinne“ sowie „Vampir – Ein Roman in Fetzen und Farben“ verfasst), die eine Biographie Manfred von Richthofens schreiben sollen. Beide sind Vampire und darüber hinaus auch noch ziemlich interessante Charaktere, vor allem der mit sich selbst hadernde Poe.
Trotz aller Vorzüge kommt „Der Rote Baron“ leider nicht ganz an „Anno Dracula“ heran. Das hängt zum einen damit zusammen, dass ich die viktorianische Stimmung der dem WW1-Setting vorziehe und zum anderen damit, dass der Schluss leider viel zu kurz und unspektakulär ist, unter anderem tritt Dracula selbst praktisch überhaupt nicht auf.
Fazit: Gelungene Fortsetzung zu „Anno Dracula“, die an den ersten Teil allerdings nicht ganz herankommt. Dennoch ein hochintelligentes Werk mit interessanten Charakteren und enorm vielen Anspielungen, die den Vampirfan begeistern. Ich freue mich schon auf „Dracula Cha-Cha-Cha“, den dritten Band.
Siehe auch:
Dracula aus anderer Perspektive Teil 1: „Anno Dracula“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 2: „Der Vampir“ und „Vlad“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 3: „Auf Draculas Spuren“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 4: „Bram Stoker’s Dracula“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 6: „Dracula Cha-Cha-Cha“