Dracula aus anderer Perspektive Teil 2: „Der Vampir“ und „Vlad“

Dracula ist ein popkulturelles Phänomen sondergleichen. Es gibt kaum eine andere Figur, die so oft und auf so unterschiedliche Weise in so vielen Medien präsent ist.
Und damit meine ich nicht nur die unzähligen Filme. Auch in Romanen taucht Dracula immer wieder auf, wie zum Beispiel in Kim Newmans Anno Dracula, das auf einem alternativen Ende zu Stokers Original aufbaut.
Anfang des Jahres habe ich zwei Romane neueren Datums gelesen, die sich dem Fürsten der Vampire aus zwei völlig entgegengesetzten Richtungen näheren: „Die Vampire“ von John Marks und „Vlad“ von C.C. Humphreys.

„Der Vampir“ von John Marks

John Marks Roman mit dem etwas unglücklich übersetzten Titel (der englische Name des Buches lautet „Fangland“) beginnt eigentlich recht interessant: Evangeline Harker, angestellt bei einer bekannten Fernsehsendung, wird nach Rumänien geschickt, um den osteuropäischen Mafiaboss Ion Torgu zu interviewen. Doch bei Torgu geschehen der Protagonistin merkwürdige Ereignisse, die schließlich zu ihrem Verschwinden führen…
Bereits hier werden die Parallelen zu „Dracula“ offensichtlich, „Der Vampir“ lässt sich am besten als Post 9/11 Version von Stokers Klassiker beschreiben. Wie die Vorlage auch wird die Geschichte in Form von Tagebucheinträgen und Briefen (bzw. E-Mails erzählt).
Und der Anfang (Reise nach Transsylvanien, Besuch auf dem „Schloss“ des Vampirs, kurzgesagt also Jonathan Harkers Reisetagebuch) ist auch äußerst vielversprechend und atmosphärisch. Doch was danach kommt, hält dieses Niveau leider nicht mehr aufrecht, denn in diesem Teil gibt es sehr wenig Grusel und Vampir, dafür sehr viel Medieneinsicht und Kritik, die allerdings nicht gerade spannend zu lesen ist. Zugegeben, auch in „Dracula“ tauchte die Titelfigur eher selten auf, aber ihre Anwesenheit und ihr Wirken war praktisch immer zu spüren. „Der Vampir“ schafft es leider nicht, diese ganz spezielle, bedrohliche Atmosphäre aufzubauen.
Auch die Vampirart, zu der Torgu gehört, fand ich irgendwie merkwürdig, die weitere Handlung ist verwirrend und die neu hinzukommenden Personen bleiben charakterlos. Selbst der Schluss ist merkwürdig.
Fazit: Mäßige Neuauflage eines Klassikers mit gutem Anfang, aber verwirrendem und ungruseligem Rest. Das Original ist eindeutig besser.

„Vlad“ von C.C. Humphreys

Nach der enttäuschenden Neuauflage von Bram Stokers Klassiker, als die sich „Der Vampir“ entpuppte, beschloss ich, mich dem Dracula-Mythos mal (wieder) von der ganz anderen Seite zu nähern, nämlich von der historischen. Wie passend, dass gerade erst vor kurzem ein Roman erschienen ist, der sich genau dieses Themas annimmt, nämlich „Vlad“, geschrieben vom kanadischen Autor C.C. Humphreys.
Und tatsächlich: Im Gegensatz zu John Marks‘ „Vampir“ hat „Vlad“ mich nicht enttäuscht, sondern, im Gegenteil, voll überzeugt und bestens unterhalten.
Vorneweg: Auch wenn die meisten Buchhandlungen diesen Roman im Zuge des „Twilight“-Booms zu den Vampirromanen stellen, handelt es sich doch um einen historischen Roman, der bis auf einige Andeutungen, nichts mit Vampiren zu tun hat, sondern von dem Menschen bzw. der historischen Persönlichkeit Vlad III., genannt Tepes, Sohn des Dracul, erzählt.
Der Autor greift hierbei die historisch verbürgten Punkte im Leben des Pfählers auf und füllt, wie er im Nachwort sagt, die Lücken.
Die Rahmenhandlung ist Folgende: Nach Draculas Tod wollen einige Kräfte den guten Namen des Drachenordens, der untrennbar mit Dracula und dessen Taten verknüpft ist, wiederherstellen, um ihn als Waffe gegen die Türken zu verwenden. Zu diesem Zweck werden die drei Menschen zusammengerufen, die Dracula am besten kannten, um seine Geschichte zu erzählen, wie sie wirklich war. Bei diesen dreien handelt es sich um seine Mätresse, seinen besten Freund und seinen Beichtvater.
Zusammen rekonstruieren sie das Leben Vlad Draculas.
Der Roman ist sehr gut und spannend geschrieben und gewinnt durch die Verwendung türkischer und wallachischer Titel und Begriffe an Autheniziztät, allerdings erschweren diese auch etwas den Lesefluss (zum Glück ist ein Glossar vorhanden). Vlad selbst und auch die besagten Zeugen kommen als glaubwürdige und gut gezeichnete Charaktere rüber.
Natürlich ist ein Roman über Vlad Tepes nicht ganz magenfreundlich, aber das beschriebene hält sich dennoch in Grenzen, die Gewalt, die Dracula ausübt, wird nie zum Selbstzweck, sondern ist Teil der Figur und als solche unverzichtbar.
Fazit: Vollste Empfehlung für alle, die gerne mal einen Roman über den wahren Dracula lesen wollen. „Vlad“ macht eigentlich alles richtig und geht nicht in die selbe Falle wie der (ziemlich schlechte) Film „Dark Prince“, der die historische Figur und den Vampir verbinden will und daran gnadenlos scheitert.

Siehe auch:
Dracula aus anderer Perspektive Teil 1: „Anno Dracula“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 3: „Auf Draculas Spuren“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 4: „Bram Stoker’s Dracula“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 5: „Der Rote Baron“
Dracula aus anderer Perspektive Teil 6: „Dracula Cha-Cha-Cha“

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