Was tut man als Märchenfigur, wenn man durch widrige Umstände (einfallende monströse Invasoren) aus seiner Heimat (dem Märchenland) vertrieben wurde und ins Amerika, bzw. New York der realen Welt flüchten muss? Ganz einfach, das was die meisten anderen ethnischen Minderheiten in amerikanischen Großstädten auch tun: Versuchen sich einerseits einzufügen, aber andererseits unter sich zu bleiben. Was liegt also näher, als eine Enklave zu gründen; nun gibt es neben Little Italy und Chinatown eben auch Fabletown.
Fabletown wird von King Cole, einer Figur aus einem englischen Kinderreim, als Bürgermeister angeführt, aber die eigentliche Verwaltungstätigkeit liegt bei Snow White (im englischen Sprachraum sowohl Schneewittchen als auch Schneeweißchen).
Und als hätte Snow White nicht schon genug mit problematischen Märchenfiguren zu tun, ist nun auch noch ihre Schwester Rose Red (Rosenrot) verschwunden, während ihr Appartement völlig blutverschmiert ist.
Bigby Wolf (von Big B(ad) Wolf, dem großen bösen Wolf), der Polizeichef von Fabletown ist bereits am Fall dran und mit Jack (aus „Jack und die Bohnenranke“, aber auch jedem anderen Märchen, das einen Jack als Protagonisten hat) wurde bereits ein Verdächtiger festgenommen. Aber kann man Bigby Wolf, insbesondere unter Betrachtung seiner Vorgeschichte, wirklich trauen? Und wie sind Bluebeard (Blaubart) und Prince Charming, Snow Whites Ex, in diese Geschichte verwickelt?
Der erste Band der Comicreihe „Fables“ von Autor Bill Willingham ist trotz der Fantasy-Anklänge und der auftauchenden Märchenfiguren ein waschechter Krimi – und ein ungemein unterhaltsamer obendrein.
Die aus dem Märchen bekannten Protagonisten wurden liebevoll modernisiert bzw. an die Realität angepasst und erscheinen als sympathische Charaktere; seien es nun das emanzipierte Schneewittchen, das sich nicht gerne in ihre Angelegenheiten reinreden lässt, der grummlige böse Wolf, der die Seiten gewechselt hat und ein wenig an den einsamen Detektiv erinnert oder der tollpatschige Jack, der sich selbst von einer Katastrophe in die nächste bringt.
Die Geschichte von „Legenden im Exil“ selbst würde auch ohne die Märchenfiguren als unterhaltsamer Krimi funktionieren, aber durch die Beteiligung eben jener bekannten Charaktere bekommt das ganze noch eine zusätzliche Portion Charme.
Auch auf graphischer Ebene funktioniert „Legenden im Exil“ sehr gut. Lan Medinas Zeichnungen sind sehr realitätsnah und detailliert, wirken auf mich aber ein wenig zu normal und unoriginell. Aber nichts desto trotz erfüllen sie ihren Zweck sehr gut.
Fazit: Guter und unterhaltsamer Märchenkrimi mit liebenswerten Figuren, passenden Dialogen, hintergründigem Humor und guten, wenn auch nicht herausragenden Zeichnungen.
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