Necroscope: Auferstehung

In der Masse der Vampirromane gibt es doch hin und wieder Bücher, die gänzlich anders sind als der ganze Rest. Brian Lumleys „Necroscope“-Saga gehört ohne Zweifel dazu. Denn mit seinen Romanen erschafft Lumley eine Art von Vampir, wie es ihn zuvor noch nicht gab.
Aber zuerst zur Handlung: Auf gewisse Art und Weise sind sich Boris Dragosani und Harry Keogh ähnlich, aber gleichzeitig unterscheiden sie sich auch stark voneinander.
Keogh ist ein stiller, zurückgezogener britischer Junge, der nur wenige Freunde hat, ist ein eher schlechter Schüler und ein Träumer, wie er im Buche steht. Doch eines Tages scheint er wie aus dem Nichts eine besondere Gabe für die Mathematik zu entwickeln. Doch seine Lehrer ahnen nicht, dass Harrys eigentliches Talent nichts mit Zahlen zu tun hat, denn Harry hat eine ganz besondere, einzigartige Gabe: Er ist ein Necroscope, er kann mit den Toten sprechen, sich ihr Wissen aneignen und ihre Kenntnisse benutzen.
Dragosani stammt aus Rumänien und arbeitet für die Regierung der UdSSR, und zwar für eine ganz besondere Abteilung, nämlich das sog. E-Dezernat, das sich mit übernatürlichen Fähigkeiten (Telepathie, Telekinese etc.) beschäftigt. Denn auch Dragosani hat eine spezielle Gabe, die sich ebenfalls auf die Toten konzentriert: Dragosani ist ein Nekromant, er kann in den Organen und dem Blut der Verstorbenen lesen wie in einem Buch und so an ihre Geheimnisse gelangen. Zwar eine äußerst makabere Gabe, aber dennoch für die russische Regierung unschätzbar wertvoll. Dragosani hat allerdings noch ein anderes, weit dunkleres Geheimnis. Denn die Nekromantie stammt von einem Wesen, das seit Jahrhunderten tief in der Erde Rumäniens begraben liegt und nach Blut dürstet…
Obwohl die Saga nicht gerade arm an Splatterelementen ist (die zwar nicht andauernd auftreten, aber wenn sie es tun, dann richtig), liegt das Hauptaugenmerk vor allem auf den Figuren. Nicht nur in diesem ersten Band, der sich auf Harry Keogh, Boris Dragosani und deren Entwicklung konzentriert, sondern auch in den weiteren Bänden, nimmt sich Lumley sehr viel Zeit für die Charakterisierung seiner Figuren, sodass diese stets glaubhaft und plastisch bleiben.
Ebenfalls hochinteressant ist der Hintergrund der Reihe, da die Ost-West Feindschaft und der Kalte Krieg eine enorm große Rolle spielt. Oberflächlich mag der Krieg der E-Dezernate (denn natürlich hat auch Großbritannien eines) ein wenig an die X-Men erinnern, aber die ESPer (wie übernatürlich Begabte genannt werden) haben bis auf ihre besonderen Fähigkeiten mit Superhelden eigentlich recht wenig gemein.
Aber am wichtigsten, zumindest für mich, sind Lumleys Vampire. Zu Beginn des ersten Romans spielen die Vampire eine sehr untergeordnete Rolle, Dragosani begibt sich nach Rumänien, um mit seinem untoten Lehrmeister, dessen Namen er nicht einmal kennt, zu sprechen und von diesem Geheimnisse zu erfahren. Aber ab der zweiten Hälfte des Romans werden die Untoten immer wichtiger und dem Leser offenbart sich einiges über deren Hintergrund: Lumleys Vampire sind Parasiten, die sich mit einem menschlichen Wirt vereinen. Der Originalvampir dringt dabei in den Wirt ein und verbindet sich untrennbar mit ihm, wodurch aus zwei Wesen ein mächtiges, untotes Geschöpf wird.
Zwar sind, wenigstens in den ersten Bänden der Reihe, eigentlich alle Vampire böse und monströs, aber nichtsdestotrotz auch interessante und glaubhafte Figuren. Von Lumleys Vampirdynastie der Ferenczy habe ich auch den Namen für meine RPG-Figur.
Zum Abschluss noch ein Wort zur deutschen Veröffentlichung: Der Festa-Verlag, der die Necroscope-Reihe zuerst auf Deutsch herausgebracht hat, hat die englischen Originalbände in zwei oder drei dünnere deutsche Ausgaben aufgeteilt. Seit kurze hat jedoch der Heyne-Verlag die Romane im englischen Format neu aufgelegt. Deren Titelbilder sind zwar nicht ganz so schön gestalt wie die des Fest-Verlags, aber dafür wird die Geschichte nicht auseinander gerissen und der Kauf der Reihe ist um einiges billiger.
Fazit: Wer eine wirklich interessante Version des Vampirmythos kennen lernen möchte, die äußerst spannend geschrieben und mit einem detaillierten Hintergrund ausgestattet ist, sollte bei Necroscope bedenkenlos zugreifen, sofern einige härtere Szenen nicht stören.